Weil der Stadt ist die Inschrift über drei Steinlagen hinweg direkt in die Quader des Turmes einge-
hauen. Durch ihren Verzicht auf Versalien erinnert sie an frühe Glockeninschriften, die wie hier oft
ganz im Zwei-Linien-Schema eingefügt sind. Auffällig ist die durchgehende Verwendung des gebro-
chenen s anstelle des langen Schaft-s, worin sich noch eine gewisse Unsicherheit im Gebrauch der
damals neuartigen Schrift zeigt. Auch besitzt die Schrift das charakteristische, unten zugespitzte v mit
einer schrägstehenden rechten Haste als Frühform. Die weitere Entwicklung der Gotischen Minus-
kel läßt sich erst wieder 1449 und 1450 an zwei Gärtringer Grabplatten (nrr. 58, 60) verfolgen, auf
denen sie als Umschrift zwischen Linien nun die voll entwickelte Standardform ohne Versalien er-
reicht. Dieselbe Schriftform ziert auch die uniforme Gruppe der Minuskel-Glocken mit Evangeli-
stennamen, die in der Eger-Werkstatt in Reutlingen gegossen sind (nrr. 64, 67, 69, 73, 74, 96). Be-
sondere Beachtung verdient die Gotische Minuskel der aus Böblingen stammenden Marienglocke
von 1473 (nr. 79) wegen ihrer kunstvoll und sehr exakt ausgeführten Bandform mit umgelegten En-
den. Die die Buchstaben bildenden Bänder sind im Querschnitt nicht flach mit glatter Oberfläche,
sondern in der Mitte konkav eingezogen103; dadurch erhält die Schrift ein stark plastisches Relief mit
lebhafter Schattenwirkung. Soweit aus erhaltenen Exemplaren hervorgeht, verwenden die Glocken-
gießer Bernhart Lachaman von Heilbronn (nrr. 105, 115, 132, 134, 137) und Pantlion Sidler in Ess-
lingen und später in Heidelberg fast durchweg eine flache Gotische Minuskel ohne Versalien. Erst auf
einer Sidler-Glocke von 1512 (nr. 148) erscheinen Versalien.
Demgegenüber sind die Stern-Inschriften ab 1477 durchweg mit Versalien versehen, die Umschrif-
ten der Grabplatten wenigstens mit einem Anfangs-A für Anno. Da die Qualität der Ausführung
unterschiedlich ist, seien nur einige hervorstechende Beispiele genannt. Die Sindelfmger Gedenkin-
schrift (1477; nr. 83), die Urkundeninschrift in Holzgerlingen (1481; nr. 89) und das Epitaph-Frag-
ment für Wilhelm von Münchingen in Leonberg (1491; nr. 101) sind in Komposition und Schriftbild
vergleichbar wegen der dichten zeilenweisen Anordnung und der gitterartigen Struktur. Die Unter-
schiede liegen in der Verwendung der Versalien. Bei dem ersten Beispiel sind dies Zierbuchstaben mit
Brechungen und Verdopplungen für C, E und J, noch zögernd eingesetzt; das M der Jahreszahl ist
der Gotischen Majuskel entnommen. Das zweite Beispiel besitzt ausgeprägte Unterlängen bei g, h, j
und y; die Struktur ist durch Ligaturen stark verdichtet. Die Versalien für das Anfangs-A und Jahr-
zahl-M sind der Gotischen Majuskel entnommen, dagegen zeigt der Versal A der letzten Zeile eine
Zackenverzierung. Die Schrift des dritten Beispiels steht als Spitzenleistung im Bearbeitungsgebiet
isoliert, weshalb an em Importstück gedacht werden kann. Hier beginnt fast jedes Wort mit einem
reich verzierten Versal als einer eigenständigen Schöpfung, die Anklänge an die Frühhumanistische
Kapitalis zeigt. Noch deutlicher sind diese Tendenzen bei der Baumschrift des Weiler Langhauses von
1492 (nr. 104); hier ist die Herkunft der Versalien aus der Frühhumanistischen Kapitalis offensichtlich.
Auch das dem Kapitalis-E ähnliche F in Friderico oder Feria stammt von dort. Möglicherweise ist die
Tafel von Kräften der Bauhütte des Aberlin Jörg gearbeitet worden.
Zu den Inschriften auf Bauwerken zählt auch der umfangreichste Inschriften-Zyklus des Bearbei-
tungsgebietes, der heute noch neun Fenstergewände und ein Türgewände des ehemaligen Kreuzgangs
des Weiler Augustiner-Klosters schmückt (vor 1516; nr. 154). Die in die Werksteine der Sandstein-
gewände eingehauenen lateinischen Inschriften zeigen eine sehr persönliche Handschrift. Es handelt
sich um eine extrem engstehende Minuskelschrift, deren Schäfte ohne Brechung auf der Grundhnie
stehen. Da aber keinerlei Rundformen eingeführt wurden und b, d, e und o zugespitzt sind, auch das a
zweistöckig gebildet ist, handelt es sich um eine Gotische Minuskel, die durch Einflüsse der humani-
stischen Minuskel verfremdet ist und vielleicht schon die Kenntnis früher Fraktur-Druckschriften
verrät. Das zeigen auch die wenigen Versalien, von denen das A immer wiederkehrt; seine linke Haste
ist verdoppelt und weit unter die Grundlinie gezogen, der Deckstrich aber in die entgegengesetzte
Richtung ausgezogen, was der Schrift etwas Gespreiztes und Spitziges verleiht. Auffallende Bildungen
sind das g mit weit unter die Grundlinie reichender Doppelschleife und das brillenförmige Schluß-s.
Das Entziffern der Schrift wird durch die zahlreichen Kürzungen erschwert.
Zunehmende Verfremdung zeigt auch die Grabschrift des Ehepaars Spidel von 1544 in Weil der
Stadt (nr. 184). Entgegen dem damaligen Trend verzichtet diese Schrift auf Versalien; dafür werden
einzelne Kapitalformen wie S, V und W in das Mittelband eingefügt. Die Rundungen sind durch-
gängig durch eckige Formen ersetzt. Eine eigenständige Erfindung ist das a, das zwar wegen seiner
Durch den konkaven Querschnitt unterscheidet sich die Glocke grundlegend von anderen Exemplaren mit glatter
und flach angelegter Bandminuskel wie bei den Glocken in Kleinsteinbach von 1468 und Neckarsteinach von 1498;
vgl. DI 20 (Karlsruhe) nr. 59; DI 38 (Bergstraße) nr. 78.
XLII
hauen. Durch ihren Verzicht auf Versalien erinnert sie an frühe Glockeninschriften, die wie hier oft
ganz im Zwei-Linien-Schema eingefügt sind. Auffällig ist die durchgehende Verwendung des gebro-
chenen s anstelle des langen Schaft-s, worin sich noch eine gewisse Unsicherheit im Gebrauch der
damals neuartigen Schrift zeigt. Auch besitzt die Schrift das charakteristische, unten zugespitzte v mit
einer schrägstehenden rechten Haste als Frühform. Die weitere Entwicklung der Gotischen Minus-
kel läßt sich erst wieder 1449 und 1450 an zwei Gärtringer Grabplatten (nrr. 58, 60) verfolgen, auf
denen sie als Umschrift zwischen Linien nun die voll entwickelte Standardform ohne Versalien er-
reicht. Dieselbe Schriftform ziert auch die uniforme Gruppe der Minuskel-Glocken mit Evangeli-
stennamen, die in der Eger-Werkstatt in Reutlingen gegossen sind (nrr. 64, 67, 69, 73, 74, 96). Be-
sondere Beachtung verdient die Gotische Minuskel der aus Böblingen stammenden Marienglocke
von 1473 (nr. 79) wegen ihrer kunstvoll und sehr exakt ausgeführten Bandform mit umgelegten En-
den. Die die Buchstaben bildenden Bänder sind im Querschnitt nicht flach mit glatter Oberfläche,
sondern in der Mitte konkav eingezogen103; dadurch erhält die Schrift ein stark plastisches Relief mit
lebhafter Schattenwirkung. Soweit aus erhaltenen Exemplaren hervorgeht, verwenden die Glocken-
gießer Bernhart Lachaman von Heilbronn (nrr. 105, 115, 132, 134, 137) und Pantlion Sidler in Ess-
lingen und später in Heidelberg fast durchweg eine flache Gotische Minuskel ohne Versalien. Erst auf
einer Sidler-Glocke von 1512 (nr. 148) erscheinen Versalien.
Demgegenüber sind die Stern-Inschriften ab 1477 durchweg mit Versalien versehen, die Umschrif-
ten der Grabplatten wenigstens mit einem Anfangs-A für Anno. Da die Qualität der Ausführung
unterschiedlich ist, seien nur einige hervorstechende Beispiele genannt. Die Sindelfmger Gedenkin-
schrift (1477; nr. 83), die Urkundeninschrift in Holzgerlingen (1481; nr. 89) und das Epitaph-Frag-
ment für Wilhelm von Münchingen in Leonberg (1491; nr. 101) sind in Komposition und Schriftbild
vergleichbar wegen der dichten zeilenweisen Anordnung und der gitterartigen Struktur. Die Unter-
schiede liegen in der Verwendung der Versalien. Bei dem ersten Beispiel sind dies Zierbuchstaben mit
Brechungen und Verdopplungen für C, E und J, noch zögernd eingesetzt; das M der Jahreszahl ist
der Gotischen Majuskel entnommen. Das zweite Beispiel besitzt ausgeprägte Unterlängen bei g, h, j
und y; die Struktur ist durch Ligaturen stark verdichtet. Die Versalien für das Anfangs-A und Jahr-
zahl-M sind der Gotischen Majuskel entnommen, dagegen zeigt der Versal A der letzten Zeile eine
Zackenverzierung. Die Schrift des dritten Beispiels steht als Spitzenleistung im Bearbeitungsgebiet
isoliert, weshalb an em Importstück gedacht werden kann. Hier beginnt fast jedes Wort mit einem
reich verzierten Versal als einer eigenständigen Schöpfung, die Anklänge an die Frühhumanistische
Kapitalis zeigt. Noch deutlicher sind diese Tendenzen bei der Baumschrift des Weiler Langhauses von
1492 (nr. 104); hier ist die Herkunft der Versalien aus der Frühhumanistischen Kapitalis offensichtlich.
Auch das dem Kapitalis-E ähnliche F in Friderico oder Feria stammt von dort. Möglicherweise ist die
Tafel von Kräften der Bauhütte des Aberlin Jörg gearbeitet worden.
Zu den Inschriften auf Bauwerken zählt auch der umfangreichste Inschriften-Zyklus des Bearbei-
tungsgebietes, der heute noch neun Fenstergewände und ein Türgewände des ehemaligen Kreuzgangs
des Weiler Augustiner-Klosters schmückt (vor 1516; nr. 154). Die in die Werksteine der Sandstein-
gewände eingehauenen lateinischen Inschriften zeigen eine sehr persönliche Handschrift. Es handelt
sich um eine extrem engstehende Minuskelschrift, deren Schäfte ohne Brechung auf der Grundhnie
stehen. Da aber keinerlei Rundformen eingeführt wurden und b, d, e und o zugespitzt sind, auch das a
zweistöckig gebildet ist, handelt es sich um eine Gotische Minuskel, die durch Einflüsse der humani-
stischen Minuskel verfremdet ist und vielleicht schon die Kenntnis früher Fraktur-Druckschriften
verrät. Das zeigen auch die wenigen Versalien, von denen das A immer wiederkehrt; seine linke Haste
ist verdoppelt und weit unter die Grundlinie gezogen, der Deckstrich aber in die entgegengesetzte
Richtung ausgezogen, was der Schrift etwas Gespreiztes und Spitziges verleiht. Auffallende Bildungen
sind das g mit weit unter die Grundlinie reichender Doppelschleife und das brillenförmige Schluß-s.
Das Entziffern der Schrift wird durch die zahlreichen Kürzungen erschwert.
Zunehmende Verfremdung zeigt auch die Grabschrift des Ehepaars Spidel von 1544 in Weil der
Stadt (nr. 184). Entgegen dem damaligen Trend verzichtet diese Schrift auf Versalien; dafür werden
einzelne Kapitalformen wie S, V und W in das Mittelband eingefügt. Die Rundungen sind durch-
gängig durch eckige Formen ersetzt. Eine eigenständige Erfindung ist das a, das zwar wegen seiner
Durch den konkaven Querschnitt unterscheidet sich die Glocke grundlegend von anderen Exemplaren mit glatter
und flach angelegter Bandminuskel wie bei den Glocken in Kleinsteinbach von 1468 und Neckarsteinach von 1498;
vgl. DI 20 (Karlsruhe) nr. 59; DI 38 (Bergstraße) nr. 78.
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