Metadaten

Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0047
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Öffnung links oben als zweistöckig gelten kann, das aber auf die rechte, gebrochene Haste verzich-
tet. Die originelle Mischform ist vermutlich dem Milieu der Auftraggeber, in diesem Fall dem der
Goldschmiede, zu verdanken.
Eine weitere Sonderform ist die Schrift auf Denkmälern des Hans Hiltprandt von 1548 und 1566
in Deufringen (nrr. 188, 208). Hier wird in übertriebener Weise an den Brechungen der Schäfte fest-
gehalten, was im „Zeitalter“ der Fraktur retrospektiv wirkt; abgesehen vom Anfangs-H wird nur ein
einziger Versal für den Vornamen verwendet.
Daß auf einzelnen Grabmälern mit Gotischer Minuskel Fraktur-Versalien aufgenommen wurden,
ist in einer Zeit der Suche nach neuen Formen verständlich (1547, nr. 186; 1554, nr. 196; 1559 nr. 202;
1562, nr. 206).
6.3 Fraktur
Als die wichtigsten Unterscheidungskriterien zwischen der Gotischen Minuskel und der Fraktur gel-
ten das einstöckige a, die Spindelform von/und langem s, die Ausrundungen der bei der Gotischen
Minuskel gebrochenen Bogen sowie Schwellzüge bei den Kleinbuchstaben. Nun sind aber bei Stein-
Inschriften selten alle Elemente dieser Schrift zugleich anzutreffen, so daß die Zuordnung zu der einen
oder der anderen Schriftart durchaus Ermessenssache sein kann. Die früheste reine Frakturschrift des
Bearbeitungsgebietes ist die Inschrift des in Bronze gegossenen Epitaphs von Michael Fickler, gestor-
ben 1544 (nr. 183). Die Schrift zeigt alle typischen Merkmale und benutzt durchgehend das Brezel-s als
Schluß-s. Eine zweite voll ausgereifte Fraktur mit mäßig verzierten Versalien, aber gespaltenen oder
schleifenförmig eingerollten Öberlängen bei noch zweistöckigem a besitzt das Epitaph des Ulrich
Sailer von Nördlingen (1552; nr. 192). Gleichzeitig entstanden ist die Wappenscheibe der Stadt Böb-
lingen (nr. 194). Hier ist die Inschrift zweifellos authentisch, aber den übrigen gemalten Fraktur-
Inschriften - etwa auf Holz-Epitaphien — ist mit Vorsicht zu begegnen, da hier mit Verfälschungen
durch Restaurierung zu rechnen ist (frühestes Beispiel 1560; nr. 203). Dasselbe gilt für die Fraktur-Bei-
schriften zu den Wandgemälden (1594, nr. 267; 1598, nr. 278; nach 1607, nr. 321; 1617, nr. 353).
Die Fraktur war die Schrift, die vor allem in der Werkstatt des Jeremias Schwartz zur Anwendung
kam. Nach einem frühen, noch nicht befriedigenden Versuch mit dem Merklmger Epitaph von 1574
(nr. 219) hat Schwartz diese Schrift erst nach seiner Rückkehr nach Leonberg nach 1590 zunehmend
für alle anfallenden Aufgaben neben der Kapitalis eingesetzt, so für die große Bauinschrift der Kirche
in Renningen (1601; nr. 291) und für die Leonberger Grabdenkmäler der Folgezeit. Die Schrift zeich-
net sich durch ihre gleichmäßige Bildung und Klarheit aus. Sie hält generell an Zügen der Gotischen
Minuskel fest, indem sie für die Gemeinen die Brechungen der Hasten beibehält, und sie verzichtet auf
übertriebenen Zierat; die einzelnen Buchstaben haben breite Proportionen; die Ober- und Unter-
längen sind wenig ausgeprägt. Typisch für die Versahen ist der Verzicht auf besondere Schmuckformen:
vorhanden sind zwei Formen für A, schlingenförmige Verzierungen besitzen meist nur D und E.
Die Fraktur war auch die Hauptschrift der Nachfolgewerkstatt Leonberg II; ihre Gestaltung wurde
nach 1621 noch verfeinert und durch Kombination mit anderen Schriften bereichert, wobei heraus-
zuhebende Wörter durch schräghegende Schrift betont wurden. Es entstand eine unverwechselbare
Handschrift, die sich deutlich abhebt von der Fraktur-Schrift, die in den Werkstätten Jelins in Tü-
bingen oder der Forster in Herrenberg verwendet wurde. Die Herrenberger Fraktur der Grabmäler
nach 1600 wirkt noch spartanischer in ihrer Einfachheit und Klarheit, denn sie verzichtet auf jede
Verzierung der Versalien. Die bogenförmigen Ausrundungen scheinen bei allen Buchstaben mehr
fortgeschritten auf Kosten der gebrochenen Formen. Einzelne Bildungen — so das mandelförmige,
zugespitzte o und das charakteristische lange s, ligiert mit Schluß-s wie z. B. in Eszlingen — findet
man nur hier. Nur dank der ausgeprägten „Handschrift“ konnten Epitaphien außerhalb Herrenbergs
dieser Werkstatt zugeschrieben werden (nrr. 339, 341, 349, 376, 377).
6.4 Frühhumanistische Kapitalis
Als selbständige Schriftart stand die Frühhumanistische Kapitalis im württembergischen Herrschafts-
bereich in den letzten drei Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zur Verfügung156. Dafür läßt sich aus dem
Bereich der Bauhütten die Bauinschrift des Chores an der Markgröninger Stadtkirche von 1472 an-

156 Vgl. Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften zwischen Mittelalter und Neuzeit 1988, 315 — 328; Koch, Walter,
Zur sogenannten frühhumanistischen Kapitalis 1988, 337—345.

XLIII
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften