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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0096
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zweiter Ehe mit Erzherzog Albrecht VE von Österreich (gest. 1463). Auf der rechten Seite kniet
Mechtilds Sohn, Graf Eberhard V von Württemberg (geb. 1445, gest. 1496; 1495 Herzog)1 2 3.
Die Inschrift handelt von einem außergewöhnlichen Rechtsakt, der die Fundierung der Tübinger
Universität sichern sollte. Die Gründung der Universität im Jahr 1477 ist ein Werk des Grafen Eber-
hard V. Das vorliegende Relief beweist die aktive Rolle seiner Mutter Mechtild an diesem Gründungs-
akt. Denn diese hatte als Patronatsherrin der Sindelfinger Stiftskirche bereits 1475 ihre Einwilligung
dazu gegeben, daß die Sindelfinger Propstei, acht Chorherrenpfründen und zwei Drittel der Sindel-
finger Einkünfte an die Tübinger Stiftskirche St. Georg verlegt und mit der jungen Universität ver-
knüpft wurden. Die notwendige Zustimmung des Papstes ist Inhalt einer Bulle vom 11. Mai 14764 5.
Nachdem alle Formalitäten erfüllt waren, erfolgte die offizielle Gründung der Universität am 11. März
1477. Von dieser Gründung ist in der vorliegenden Inschrift, die im gleichen Jahr datiert ist, mit keinem
Wort die Rede. Es wird nur der Verlegung des Stifts (translatio) gedacht und die Ersatzleistung, die Er-
richtung (institutio) eines regulierten Augustiner-Chorherrenstifts der Windesheimer Kongregation,
aus dem verbliebenen Restvermögen kundgemacht0. Das neue Stift wurde durch Mechtild und
Eberhard von aller Steuer, Schatzung und Beschwerde befreit und bestand bis zu seiner Aufhebung
1535 im Gefolge der Reformation.
Es fällt auf, daß Mechtild in der Inschrift an erster Stelle genannt wird. Das Epitheton illustrissima hebt
sie besonders hervor. Auch nimmt sie zur Rechten Jesu den „vornehmsten“ Platz innerhalb der Kom-
position em. In der Tat stand ihr als geborener Pfalzgräfin und verwitweter Erzherzogin der rang-
höchste Platz zu. Da Sindelfingen zu ihrem Wittum gehörte und sie außerdem Patronatsherrin war,
übte sie hier relativ selbständig die Regierung aus. Ihre Kleidung mit pelzgefüttertem Mantel und
einer Haube mit Kinnbinde ist die einer adligen Dame, wie sie von zeitgenössischen Grabdenkmälern
her bekannt ist6.
Zur Finken Christi kniet Graf Eberhard in voller Rüstung, bestehend aus einem Plattenharnisch und
Schallerhelm mit aufgeklapptem Visier. Die Rüstung entspricht Eberhards Rüstung auf seinen bald
nach 1478 anzusetzenden Fensterstiftungen im Chor der Tübinger Stiftskirche7. Wie dort ist Eber-
hard bartlos dargestellt. Ob hier Porträtzüge beabsichtigt waren, ob man die vorliegende Gestaltung
als Beweis dafür ansehen kann, daß Eberhard zumindestens bis 1477 noch keinen Bart getragen habe,
muß offen bleiben*. Auffallend ist, daß Eberhard hier nicht durch seine „Attribute“ — Palmbaum und
Attempto-Devise — gekennzeichnet ist9. Beide Beter sind im gleichen Maßstab dargestellt wie der
Schmerzensmann, und doch bleibt dieser durch die tragende Konsole räumlich abgetrennt und deut-
lich erhöht. Durch den Beter-Gestus der beiden historischen Personen wird die Darstellung zum
Devotionsbild1", zugleich aber auch durch den Inschriftentext zu einem Dedikationsbild, auch wenn
die beiden Stifterfiguren den Gegenstand ihrer Stiftung — hier die neue Stiftsgründung — nicht als
kleinfigunges Kirchenmodell präsentieren. Der Inschrifttext fordert nicht ausdrücklich zur Fürbitte
auf, jedoch setzt die Darstellung der knienden Stifter an exponierter Stelle, nämlich im Eingangs-
bereich des Stifts, voraus, daß mit der Stiftung auch em Gebetsgedenken verbunden war.
Auch durch die Gestaltung der — anscheinend überarbeiteten — Inschrift ist die Erzherzogin hervor-
gehoben durch größere Ausführung der beiden ersten Zeilen mit Nennung ihres Namens. Die eng-
gestellte Minuskel kennt kaum Unterlängen. Als Worttrenner sowie am Anfang und Ende der Zeilen
sind Paragraphenzeichen benutzt. Abgesehen von der übergroßen Initiale mit Schaftverdoppelung
wurden Versalien sehr zurückhaltend verwendet, ebenso Kürzungen und Ligaturen. Nicht zuletzt we-
gen dieser völlig andersartigen, sehr konservativen Prägung der Schrift erscheint eine Zuschreibung an
den „Meister des Volland-Epitaphs“ abwegig11. Denn hiermit ist offenbar das Grabdenkmal der Elisa-
beth Volland in Markgröningen, um 1490, gemeint. Weder stilistische noch epigraphische Gemein-
samkeiten sind erkennbar; die dortige Inschrift mit großen, eigenwillig gestalteten Versalien ist nur
schwer mit der vorliegenden Inschrift vergleichbar12.
1 Gradmann, E., Die Martinskirche in Sindelfingen. In: BllwürttKirchengeschichte NF 23 (1919) 111 — 130; hier 114.
2 Zur Biographie und zum Wirken der Fürstin vgl. zuletzt Raff, G., Hie gut Wirtemberg I, 1988, 275 — 294; LM 6
(1993) Sp. 438; Fischer, Joachim, Das Testament der Erzherzogin Mechtild von Österreich vom 1. Oktober 1481. In:
Eberhard und Mechtild 1994, 111-163.
3 Zur Biographie zuletzt LM 3 (1986) Sp.l517f; Raff' (wie Anm.2) 339-375; Eberhard und Mechtild 1994, bes.
9 — 81; Eberhard im Bart und die Wallfahrt nach Jerusalem 1998, 60 ff.
4 Zu den entscheidenden Urkunden in Zusammenhang mit der Universitätsgründung vgl. Württemberg im Spät-
mittelalter. Kat. d. Ausstellung des HStA und der WLB Stuttgart 1985. Stuttgart 1985, Abschnitt IX/5, 171 ff., bes.
Kat. Nr. 176; Wandel, U.J., Emberger, G., Klöden, I. u.a. (Hg.), Helfen zu graben den Brunnen des Lebens. Fünf-
hundert Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen 1477—1977. Historische Jubiläumsausstellung des Universi-
tätsarchivs Tübingen (Ausstellungskataloge der Universität Tübingen 8) Tübingen 1977, Iff. (mit weiterführenden
Literaturangaben).
5 Zur Güterteilung und Gründung vgl. Weisert, H., Geschichte der Stadt Sindelfingen von den Anfängen bis heute.
Sindelfingen 1975, 41 f. ; ders., Sindelfingen im Wandel der Zeit. Sindelfingen 1988, 50.

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