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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0123
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Im Aufriß und im ikonographischen Programm stimmen beide Altarkreuze so weitgehend überein,
daß eine gegenseitige Abhängigkeit als sicher gelten kann, wobei das Weiler Kreuz als das jüngere an-
gesehen wird. Bei näherer Prüfung fallen allerdings gravierende Unterschiede ins Auge: das Weiler
Kreuz ist reicher mit Inschriften ausgezeichnet, denn es besitzt auch auf der Rückseite Inschriften,
die auf dem Karlsruher Stück dort fehlen; die Inschriften auf der Frontseite stimmen nur im Falle des
David-Rehefs mit dem gleichen Psalmtext überein; trotz der Übereinstimmung im Motivischen bei
den Propheten Jesaja und Zacharias hat man für Weil andere Texte ausgewählt. An die Stelle des Mo-
ses am Karlsruher Kreuz ist hier Jeremia getreten, dessen „Anruflegende“ O I US OMNES QUI
TRANSITIS zahlreichen Passionsdarstellungen beigeschrieben war, nicht zuletzt, weil er zur Litur-
gie des Karfreitags gehörte12.
Der Befund des Weiler Kreuzes ist nicht weniger problematisch als derjenige des nun für Baden-
Baden gesicherten Werkes, da auch hier Züge älterer und jüngerer Stilphasen miteinander kombi-
niert sind. Einerseits scheint der Kruzifixus des Weiler Kreuzes einem anderen, angeblich älteren Vor-
bild zu folgen, das nicht oder „noch nicht“ das Kreuz des Nicolaus Gerhaerts zur Voraussetzung hat.
Dagegen tragen hier die Propheten-Halbfiguren im Realismus von Kleidung und Gestik ausgespro-
chen gerhaertische Züge, was für eine Ansetzung im 3. Viertel des 15. Jahrhunderts sprechen würde.
Im Gegensatz dazu sind jedoch die Evangelisten-Symbole auf der Rückseite nach den Stichen
B. 73 — 75 von Martin Schongauer (gest. 1491) geschaffen. Daher gelten diese Medaillons als nachträg-
liche Zutaten aus der Zeit um 1500. Sie besitzen Spruchbänder mit Kapitalis-Inschriften (CI —C4),
während die Spruchbänder auf den Vorlage-Stichen leer waren13.
Damit sind die epigraphischen Probleme angesprochen. In der Wahl der Schriftarten liegt nämlich
ein weiterer Unterschied zwischen beiden Werken. Die Inschriften der Frontseite des Weiler Kreu-
zes sind einheitlich in Frühhumanistischer Kapitahs ausgeführt, während die originale Schrift der
Propheten-Spruchbänder des Baden-Badener Kreuzes die Gotische Minuskel war. Wegen der eher
breiten Proportionen steht die Schrift des Weiler Werkes der klassischen Kapitalis nahe. Dies gilt
besonders für die Medaillon-Umschrift B, obgleich auch hier das typische trapezförmige A der
Frühhumanistischen Kapitalis mit weit nach links gezogenem Deckbalken, das links in ganzer Zei-
lenhöhe offene D, ein- und zweibogiges E sowie unziale Formen für D verwendet sind. Die
unruhige Wirkung der Schrift auf den Spruchbändern wird durch deren schwingende Bewegung
erzeugt; auch fehlen hier die einfassenden Linien zur Stabilisierung. Weitere individuell gestaltete
Buchstabenformen sind das „byzantinische“ M und ein dem B ähnliches R. Eine solche Schrift ist
im Arbeitsbereich nicht vor dem letzten Drittel des 15.Jahrhunderts denkbar14, auch wenn man in
Rechnung stellt, daß die Goldschmiedewerkstätten der allgemeinen Entwicklung epigraphischer
Schriften vorauseilten13.
Die aus kunsthistorischen Erwägungen heraus gewonnene Ansetzung des Kreuzes „um 1480“16 und
„nach der Mitte des 15. Jahrhunderts“17 kann vom epigraphischen Standpunkt aus für das letzte Vier-
tel des 15. Jahrhunderts bestätigt werden. Schwieriger ist die Frage nach der künstlerischen Herkunft
zu beantworten. Die Weiler Goldschmiede genossen zur Zeit der Spätgotik einen gewissen Ruf, so
daß der Auftrag für das Szepter der Tübinger Artistenfakultät 1482 an den Weiler Goldschmied
Michael Speidel (nachweisbar ca. 1470-1500) vergeben wurde18. Da diese erhaltene Arbeit ver-
gleichsweise bescheiden ist, wird angesichts der überragenden Qualität des Kreuzes an eine auswär-
tige Werkstatt zu denken sein. Die Nachbildung eines bereits vorhandenen älteren Werkes durch eine
andere Goldschmiedewerkstatt war durchaus üblich. Einig scheint sich die Forschung darüber zu sein,
daß das Weiler Kreuz eine etwas jüngere Wiederholung des Karlsruher Werkes ist. Hier erfolgte die
Aktualisierung vor allem durch die Ausführung der Prophetenworte in einer anderen Schriftart, näm-
lich in der damals modernsten Schrift.
a So für THRENI.
b So statt MEOS.
c So für TOLLIT.
1 Inhalt: Kreuzpartikel, beschriftet mit Tinte in barocker Kapitalis, soweit sichtbar: DE S.CRUCE D(OMINI)
N(OSTRI)J(ESU) C(HRISTI).
2 Lam 1,12.
3 Ps 21,17.
4 Is 53,7.
5 Za 9,11.
6 Nach Io 1,29. Anrufung aus der Liturgie des Meßopfers („Agnus Dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis“), in
der Ikonographie meist verbunden mit der Darstellung des Gotteslammes; vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia.
2 Bde. Wien 1962 (5.Aufl.); hierBd.2, 414.
7 Kiaiber, Pfarrkirche Weilderstadt 1929, 103. — Zur Spitalkirche vgl. hier nr. 100.
8 Kiaiber 104.

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