15. Predigtmandat 1609
15. Predigtmandat3
30. November 1609
P[hilipp] L[udwig]1
Unßern gruß zuvor, würdiger, wohlgelärter, lieber
getreuwer und andächtiger2.
Unß seindt zu vielen underschiedlichen mahlen
von unsern consistorialen und andere[n] kirchendie-
neren große clagen vorkommen, was maßen von un-
ßern bürgern undt underthanen in stetten und fle-
cken die son- undt bettagepredigten nicht zum flei-
sigsten besucht, sondern theilß auß gottloßigkeitt,
theilß auß sorg der nahrung, andere aus andern ge-
ringschetzigen verhinderungen mutwillig oder fahr-
lesig verseumet, ja, da schon deßfalß vielfaltige ver-
manungen beschehen, dannoch auch solche nicht ge-
achtet werden.
Ob nuhn wohl nicht ohne, daß dieße und der-
gleichen ursachen sein mögen, durch welche die pre-
digten göttliches worts der schuldigkeit nach nicht
gehöret werden, so seindt uns jedoch auch obstacula
vorgebracht, so unßere pfarherr und kirchendiener
betreffen und nicht wenig anlaß geben, daß die pre-
digten von den zuhörern entweder gar nicht oder je
mit verdruß und folgents mit wenigem nutzen be-
suchet werden, wie wir zum theil, daß deme also
seie, selbsten bekennen müßen.
Dieweil wir dann uns schuldig erkennen, solche
verhinderungen, so viel müglich, auß dem weg zu
raumen, deßwegen auch albereit befelch gethan, daß
diese undt dergleichen mängele der kirchendiener
unßer verfasten convents ordnung3 zu dem ende, da-
mit die fratres ihre censuren hiernechst auch darauf
richten können, inverleibet worden, so haben wir
notig erachtet, euch solches zuzueschreiben, damit
nicht allein ihr selbsten euch darfür zuehüten, son-
a Textvorlage (Handschrift): SUB Göttingen 2° Cod. Ms.
Jurid. 8, Bd. II, fol. 186r-187v.
b Im Text: taglich davon predigten von predigten.
1 Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1596-
1612).
2 Adressat ist der Inspektor einer Klasse.
dern auch durch dießes unßer special befelch euwe-
rer classis samptliche kirchendienere mit christli-
chem, brüderlichem eyfer und ernst davon abzu-
mahnen hettet. I186v |
Und ist demnach anfanglich an deme, daß etliche
kirchendiener sich dahin gewehnen, daß sie in ihren
predigten, auch wen der text zuemal kein anlaß dar-
zu gibt, die streitigen religionspuncten fast4, wie
man sagt, bey den haaren herbey ziehen, darüber
sich erzürnen undt die wiedersacher, es seien papi-
sten oder ubiquitisten5, mit holhippen6 undt schel-
ten ohne verhören dapfer außmachen7. Nuhn ist
zwar dieses unsere meinung nicht, daß wir begeren
zuverbieten, wan je der text mit sich bringet, in
streitigen puncten uff den cantzeln antithesim cum
thesi außzuführen, sondern alleine, daß solches mo-
deste ohne lästern undt schelten geschehe, damit die
zuhörer nicht mehr irre oder wiederspenstiger ge-
macht, dadurch gleichsam auß der kirchen getrieben
und des gehörs göttliches worts uberdrüßig werden,
für eins.
Zum andern wirdt auch darfür gehalten, daß die
taglichb continuirliche an- und vermanungen zu dem
gehör der predigten des widrigen effects eine ursache
sein solle, sonderlich, wan solche gar inconvenienter
und zu viel lang gebraucht werden, dafür sich dann
unsere kirchendienere zuhüten und mit solchen ver-
manungen, wan der text gute gelegenheit darzu
gibt, anderster nicht alß in christlicher sanfftmuth
und uffs kürtzest und bewegligst zue verfahren ha-
ben.
3 Konventsordnung [1609], oben, Nr. 14.
4 Sehr.
5 Lutheraner.
6 Schmähen, Spotten.
' Tapfer ausmachen = gehörig fertigmachen, Grimm,
DWb 1, Sp. 913.
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15. Predigtmandat3
30. November 1609
P[hilipp] L[udwig]1
Unßern gruß zuvor, würdiger, wohlgelärter, lieber
getreuwer und andächtiger2.
Unß seindt zu vielen underschiedlichen mahlen
von unsern consistorialen und andere[n] kirchendie-
neren große clagen vorkommen, was maßen von un-
ßern bürgern undt underthanen in stetten und fle-
cken die son- undt bettagepredigten nicht zum flei-
sigsten besucht, sondern theilß auß gottloßigkeitt,
theilß auß sorg der nahrung, andere aus andern ge-
ringschetzigen verhinderungen mutwillig oder fahr-
lesig verseumet, ja, da schon deßfalß vielfaltige ver-
manungen beschehen, dannoch auch solche nicht ge-
achtet werden.
Ob nuhn wohl nicht ohne, daß dieße und der-
gleichen ursachen sein mögen, durch welche die pre-
digten göttliches worts der schuldigkeit nach nicht
gehöret werden, so seindt uns jedoch auch obstacula
vorgebracht, so unßere pfarherr und kirchendiener
betreffen und nicht wenig anlaß geben, daß die pre-
digten von den zuhörern entweder gar nicht oder je
mit verdruß und folgents mit wenigem nutzen be-
suchet werden, wie wir zum theil, daß deme also
seie, selbsten bekennen müßen.
Dieweil wir dann uns schuldig erkennen, solche
verhinderungen, so viel müglich, auß dem weg zu
raumen, deßwegen auch albereit befelch gethan, daß
diese undt dergleichen mängele der kirchendiener
unßer verfasten convents ordnung3 zu dem ende, da-
mit die fratres ihre censuren hiernechst auch darauf
richten können, inverleibet worden, so haben wir
notig erachtet, euch solches zuzueschreiben, damit
nicht allein ihr selbsten euch darfür zuehüten, son-
a Textvorlage (Handschrift): SUB Göttingen 2° Cod. Ms.
Jurid. 8, Bd. II, fol. 186r-187v.
b Im Text: taglich davon predigten von predigten.
1 Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg (1596-
1612).
2 Adressat ist der Inspektor einer Klasse.
dern auch durch dießes unßer special befelch euwe-
rer classis samptliche kirchendienere mit christli-
chem, brüderlichem eyfer und ernst davon abzu-
mahnen hettet. I186v |
Und ist demnach anfanglich an deme, daß etliche
kirchendiener sich dahin gewehnen, daß sie in ihren
predigten, auch wen der text zuemal kein anlaß dar-
zu gibt, die streitigen religionspuncten fast4, wie
man sagt, bey den haaren herbey ziehen, darüber
sich erzürnen undt die wiedersacher, es seien papi-
sten oder ubiquitisten5, mit holhippen6 undt schel-
ten ohne verhören dapfer außmachen7. Nuhn ist
zwar dieses unsere meinung nicht, daß wir begeren
zuverbieten, wan je der text mit sich bringet, in
streitigen puncten uff den cantzeln antithesim cum
thesi außzuführen, sondern alleine, daß solches mo-
deste ohne lästern undt schelten geschehe, damit die
zuhörer nicht mehr irre oder wiederspenstiger ge-
macht, dadurch gleichsam auß der kirchen getrieben
und des gehörs göttliches worts uberdrüßig werden,
für eins.
Zum andern wirdt auch darfür gehalten, daß die
taglichb continuirliche an- und vermanungen zu dem
gehör der predigten des widrigen effects eine ursache
sein solle, sonderlich, wan solche gar inconvenienter
und zu viel lang gebraucht werden, dafür sich dann
unsere kirchendienere zuhüten und mit solchen ver-
manungen, wan der text gute gelegenheit darzu
gibt, anderster nicht alß in christlicher sanfftmuth
und uffs kürtzest und bewegligst zue verfahren ha-
ben.
3 Konventsordnung [1609], oben, Nr. 14.
4 Sehr.
5 Lutheraner.
6 Schmähen, Spotten.
' Tapfer ausmachen = gehörig fertigmachen, Grimm,
DWb 1, Sp. 913.
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