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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0065
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Mit der Entlassung Heshusens hatte die kurpfälzische Kirche ihre oberste theologische Instanz ver-
loren. Die Bedeutung dessen für die Kirchenverfassung soll unten bei der Kirchenratsordnung von 1564
Erörterung finden. Die theologische Auseinandersetzung war damit aber noch nicht beendet, da der Kur-
fürst selbst im Meinungsstreit keine Partei genommen hatte. Heshusen hatte sein Abendmahlsbekenntnis
noch von Heidelberg aus den Jenenser Theologen zugeschickt und sich deren Zustimmung versichert.
Seit Beginn der Wirren versuchte Friedrichs Schwiegersohn Johann Friedrich von Sachsen-Gotha, ihn
dem reinen Luthertum zu erhalten. Die Vermählung von Friedrichs Tochter Dorothea Susanna mit
Johann Friedrichs Bruder Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar in Heidelberg bot am 3.-7. Juni 1560
Gelegenheit zu einer Abendmahlsdisputation zwischen den Weimarer Theologen Johannes Stössel und
Maximilian Mörlin und Boquin, dem Erastus sekundierte. Die Heidelberger trugen nahezu wörtlich
die Klebitzschen Thesen des Vorjahres vor. Ihr maßvolles und geschicktes Auftreten scheint den durch
Melanchthons Gutachten wohl schon voreingenommenen Kurfürsten beeindruckt zu haben, so daß dieser
im August eine Reihe von strenglutherischen Pfarrern aus seinem Kirchendienst entfernt und das Gut-
achten drucken läßt. Daß die Formel Melanchthons dadurch in Kurpfalz normative Geltung erlangte,
ist zwar wahrscheinlich, aber mangels näherer Nachrichten nicht ganz sicher.
Schon 1560 wird in Heidelberg der Gedanke einer Neubearbeitung der Kirchenordnung erwogen.
Fast gleichzeitig nehmen Olevian mit Calvin84 und Erastus mit Bullinger85 Fühlung deswegen auf.
Doch muß der Rat Georgs von Erbach, von einer Änderung abzusehen86, einstweilen gefruchtet haben.
Die Stellungnahme des Kurfürsten selbst zu diesem Zeitpunkt entbehrt noch der Eindeutigkeit und Ent-
schiedenheit.
Erst auf dem Naumburger Fürstentag 1561 scheint Friedrich das volle Gewicht der Unterschiede
in den Fassungen der Confessio Augustana klargeworden zu sein. Er unterzeichnet die Invariata nur,
nachdem in der Präfation die Gleichberechtigung der Variata fest verankert wird. Die reformierten
Kräfte in Heidelberg haben dies als ein günstiges Vorzeichen für ihre Sache verstanden, denn nun arbeitet
Thomas Erastus in steter Korrespondenz mit Bullinger in Zürich seine auf Melanchthons Formel und
den Heidelberger Abendmahlsthesen aufbauende Schrift aus: Gründlicher Bericht, wie die Worte Christi,
das ist mein Leib, zu verstehen seien, die freilich erst 1562 gedruckt wird. Lutheraner, wie Kanzler
Erasmus von Minkwitz und der Hofrichter Erasmus von Venningen, erhalten den Abschied. Philippi-
sten und Reformierte rücken in die wichtigsten Positionen nach. Dieselben Kräfte haben nun auch im
Kirchenrat die Oberhand. Neben Boquin werden Tremellio und Olevian zu Theologieprofessoren beru-
fen, dem letzteren folgt bei dessen Abgang in den Kirchendienst der aus Zürich empfohlene Zacharias
Ursinus. Dieser Wandel vollzieht sich langsam und ohne ersichtliche Gesetzesakte, vom steten Argwohn
lutherischer Nachbarn begleitet, deren ,,abgeschaffte Zwinglianer“ nach kurzem in der Pfalz zu Ehren
kommen.
Einen Einschnitt bietet im Dezember 1561 eine vom Kurfürsten ohne Befragung seiner Räte getrof-
fene Anordnung, in Heidelberg bei der Abendmahlsausteilung den reformierten Ritus des Brotbrechens
einzuführen87. Sie ist augenscheinlich nicht sofort auf das ganze Territorium ausgedehnt worden, denn
noch die Herbstsynode 1563 gestattet in einzelnen Pfarreien weiterhin den Gebrauch von Oblaten bis zur
völligen Bekehrung der Gemeinden88. Aber immerhin war offiziell die Richtung auf ein reformiertes Kir-
chenwesen eingeschlagen. Im Frühjahr 1562 wird dann die Neubearbeitung der Lehrgrundlage, der
Agende und der Kirchenverfassung in Angriff genommen89. Dies führt zur:
84 CR 46, S. 194—195; vgl. Calvins Antwort ebendort, S. 235-237.
85 Wesel-Roth, S. 27 nebst Anmerkungen.
86 Wesel-Roth, S. 132 Anm. 70.
87 Vgl. Kluckhohn, Briefe I, S. 514.
88 Kluckhohn, Briefe I, S. 447.
89 Vgl. das Zeugnis Ursins bei Wesel-Roth, S. 132 Anm. 71.

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