Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0239
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kirchenordnung 1556

Von christlicher freyheit.
Was ist christliche freyheit?
Antwort:
Christliche freyheit ist erstlich dise hohe unaus-
sprechliche gnad, das wir one unsere verdienst umb
des herrn Christi willen vergebung der sünden haben
und gerecht sind, das ist, Gott gefellig durch den
glauben, obgleich in disem elenden leben noch vil
schwacheit und sünd an uns klebt.
Und weiter ist dise freyheit, das der herr Christus
selbs uns aus der helle zeucht und trost und leben in
uns wirckt und gibt uns seinen heiligen geist, be-
schützt87 uns wider die teufel und erhelt uns wun-
derbarlich und gibt uns endtlich ewige seligkeit, da-
rin wir gantz von sünden, todt, teufeln und allem
elend frey sind und haben ewiges leben und ewige
gerechtigkeit. Von allen disen sachen redet der herr,
da er spricht: Wenn euch der son frey machen wirdt,
so seid ir warhaftigklich88 frey [Joh. 8, 36].
Hernach folgt auch dise freyheit, das christen
nicht sollen beladen sein mit den ceremonien oder
burgerlichem regiment Mosi, item, das sie nicht sol-
len gefangen sein mit ceremonien, von menschen ge-
ordnet, sondern sollen wissen, das solche ceremo-
nien, von menschen gemacht, nicht gottesdienst
sind, das auch underlassung derselbigen nicht sünde
sey, wie s.[anct] Paulus spricht zun Colossern am89
2. capitel [16]: Niemandt soll euch richten von un-
derscheid der speise oder trancks oder von feyer-
tagen etc.
Von den dreyen teilen im gesetz Mose.
Es ist hochnötig, das alle verstendige christliche
menschen darvon einen zimlichen verstand haben,
wie und warumb Gott das regiment Israel also mit
weltlicher regierung an einem gewissen ort und auf
bestimpte zeit geordnet hat. Und ist dises die für-
nemste ursach.
Gottes allergnedigster wille ist, das wir seinen son
Jesum Christum erkhennen und umb dises willen
samlet er im für und für ein kirche in menschlichem
geschlecht.

87 Neuburg 1554 und Mecklenburg 1554: schützt.
88 Neuburg 1554: warhaftig.

Damit nun gewiß were, wo der herr Jesus Chri-
stus solte geborn werden und predigen, leiden, aus
dem tode widerumb in das leben aufersteen und
mirackel thun zu zeugknus der leere, hat Gott das
volck Israel von allen heiden abgesöndert und disem
volck ein eigen weltlich regiment gestellt und einen
stamm darin ernennt, aus welchem der heiland mes-
sias solt geboren werden. Und hat inen ein platz ein-
geben, der wol bekhant gewesen, zwischen den be-
kandten und grössesten königreichen Assyria, Chal-
dea, Egypto, schier auf dem mittel der erden. Und
hat Gott grosse mirackel für und für in disem volck
offentlich gethan, das man gwißlich wüßte, das dise
einige leere recht were, welche in disem volck durch
seine propheten gepredigt ist und das in disem volck
der son Gottes erscheinen wurde und sein gros,
wunderbarlich werck außrichten.
Darzu hat Gott also disem volck ein eusserlich
regiment gefasset, das vom auszug aus Egypto bis
zum leiden und zur auferstehung Christi 1543 jar
gestanden ist.
Und ist auch ein besondere wolthat Gottes gewe-
sen, das er also ein gewise schul aufgericht und so
lange zeit erhalten hat90, darvon man gewißlich ge-
wusst hat, das darin göttliche warheit und etliche
rechte lerer für und für zu finden waren.
Wo nun weltliche regiment sind, da müssen bur-
gerliche gesetz sein, von gerichten und strafen der
groben lastern, von erbschaften, von kaufen und ver-
kaufen etc.91
Und damit dises volck mit offentlichen, klaren
underscheiden von den heiden abgesöndert were,
sind darbey vil ceremonien von underscheid der
speiß, von festen und opfern geordnet. Und dieweil
der messias hat in disem volck erscheinen sollen,
sind die ceremonien zugleich bilder und erinnerung
gewesen von messia, als das osterlamb [vgl. Ex. 12]
etc. Und ist in summa ein seer schön, zierlich regi-
ment gewesen, desgleichen sonst auf erden kein
königreich gesehen ist.
Neben disen zweyen teilen der gesetz, die man
nennet judiciales und ceremoniales, hat dises volck
noch andere, weit höher und nötiger gebot gehabt,
89 Fehlt Neuburg 1554.
90 Neuburg 1554: habe. 91 Fehlt Neuburg 1554.

213
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften