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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0240
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Regierungszeit Ottheinrichs 1556-1559

die nicht ein vergengkliche ordnung sind, sondern
ewige weißheit Gottes, die mit einem seer schwa-
chen namen genennet wirdt lex moralis und sind die
zehen gebot [Ex. 20, 1-17], die man aber verstehen
soll, wie sie Gott selbs durch den herrn Christum und
durch die propheten und aposteln erkleret hat.
Und hat Gott in disem regiment Israel besondere
strafen und gnad erzeigt. Und wiewol ein teil dar-
vongerissen ist, so ist doch Juda solang bliben, bis der
son Gottes und heiland erschinen ist und in disem
volck offentlich geprediget hat und zeugknus gege-
ben mit grossen mirackeln. Und ist ein opfer worden
und aus dem tode widerumb in das leben auferstan-
den und hat den heiligen geist gesendt etc.
Darnach hat Gott dises regiment nicht lenger er-
halten. Hat auch damit der welt ein erschreckliche
zeugknus und erinnerung, wie er den unglauben und
andere sünden strafen wölle, fürgestellt. Und sind
Jerusalem und andere stedte durch die Römer grau-
samlich zerstöret worden.
Damit sind gefallen ire vergengkliche gesetz, judi-
ciales und ceremoniales. Und ist in keinem wege
Gottes wille, das man dieselbigen widerumb auf-
richten soll, wie etlichmal ungelerte, aufrürische
menner sich understanden haben, die gewönliche
römische recht abzuthun und mit den landgütern
andere ordnung zu machen, wie Müntzer92 und
Straus93 mit falschem schein des jubilei [vgl. Lev.
25] fürgaben, die ecker solten frey sein etc. Auch hat
der bapst nach den levitischen ceremonien affen-
werck gemacht, hat sich zu Aaron [vgl. Ex. 28 u.ö.]
gemacht, hat underscheid der speise geboten, hat
fürgeben, die münche weren nazarei94 [vgl. Am. 2,
11-12].
Dise und allerley dergleichen irrthumb zu ver-
hüten, mus man disen warhaftigen und nötigen ver-
stand in der kirchen erhalten, das die levitische cere-
monien und burgerliche gesetze in Mose, die nicht
von natur in aller menschen verstand gepflantzt
sind, ir ende haben mit Jerusalera und binden uns
gantz nichts.
Dises haben die propheten zuvor also verkündi-
92 Thomas Müntzer († 1525), Sozialrevolutionär.
93 Jakob Strauß (t ca. 1533), Sozialreformer.
94 Neuburg 1554: nasarei.
95 Neuburg 1554: + am.

get. Und haben die apostel semptlich in Actis cap.95
15. [22-30] ein ernstlich decret darvon gemacht.
Und hat Paulus zun Galatern und sonst sich gnug-
sam darvon erkleret.
So fragstu nun: Dieweil das gesetz Mose gefallen ist
und ist jetzund nicht sünd, schweines fleisch essen,
warumb sind dise werck sünde, die wider die zehen
gebot sind, todschlag, eebruch, stelen, falsche eid
thun? etc.
Darauf soll man wissen, das dise leere, welche ge-
nennt ist lex moralis oder zehen gebot [Ex. 20,1-17],
in rechtem verstand nicht ein vergengklich gesetz
ist, ist auch nicht erst mit Mose angefangen, sonder
es ist die ewige, unwandelbare weißheit in Gott selbs
und die ewige regel der gerechtigkeit in seinem gött-
lichen willen, die er aus unaussprechlicher gütigkeit
in die vernünftige creaturn gebildet hat. Und hat sie
darnach allezeit für und für in seiner kirchen von
Adams zeiten an mit seiner predig erkleret und er-
holet96, das wir wissen sollen, wie er selbs ist, nem-
lich weiß, gütig, warhaftig, gerecht, keusch, und das
er wölle, das die vernünftige creatur im gleichförmig
sein soll. Darumb er ir dise hohe weißheit mitgeteilet
hat und zürne grausamlich wider alles, das diser sei-
ner unwandelbaren weißheit widerwertig ist und
zerstöre es. Und ist derhalben dise weißheit und
regel in Gott für und für das warhaftige und
schreckliche urteil in Gott wider die sünde, das ist,
wider alles, das diser weißheit widerwertig ist. Dar-
umb, wie dise weisheit und regel in Gott ewig ist,
folgt, das 97 Gott nicht gefellig ist in ewigkeit und ist
sünd97, was derselbigen weißheit und regel in Gott
widerwertig ist, als abgötterey, todschlag, eebruch,
stelen, falsche eid thun98 etc.
Und damit wir menschen dises urteil wider die
sünde wüssten und gros achteten, hat Gott dise seine
weißheit und regel mit so vilen, grossen zeichen in
der ausfürung aus Egypto den menschen fürgetra-
gen und bezeuget [vgl. Ex. 7-17], das gewißlich er
selbs also sey und wölle zerstören, was diser seiner
weißheit und seinem willen widerwertig ist.
96 Neüburg 1554: erhalten.
97-97 Neuburg 1554: sünde und Gott nicht gefellig ist
in ewigkeyt.
98 Neuburg 1554: schweren.

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