Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Bergholz, Thomas [Oth.]; Goeters, J. F. Gerhard [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (19. Band = Rheinland-Pfalz, 2, 1. Teilband): Die Reichsstädte Landau, Speyer und Worms - die Grafschaften Leiningen, Sayn und Wied - die Wild- und Rheingrafschaft - das Fürstentum Pfalz-Simmern - die Grafschaft Pfalz-Veldenz (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30659#0098
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Speyer

auch dem Kaiser. Daher macht der Ausschuss dem Rat einen merkwürdigen, fast schon naiv-spitzbübischen
Vorschlag: Diller und Eberhard (oder dessen Kaplan) sollen gebeten werden, das Evangelium zu predigen -
ohne dass irgendwelche sonstigen Veränderungen im städtischen Kirchenwesen durchgeführt werden! Auch
soll diese Bitte nicht als Aufforderung zur Auflösung der Klöster verstanden werden. Vor allem aber soll
jeglicher Eindruck vermieden werden, als werde einer der beiden als städtischer Prediger angestellt (wie dies
z.B. in den süddeutschen Reichsstädten der Normalfall war).25
Das Hauptproblem bei der Lösung der Frage, inwiefern dieses und auch die späteren, entweder von den
Predigern oder dem Ratsausschuss aufgestellten Schriftstücke tatsächlich rechtlich bindende Ordnungen
waren, stellt die sehr lückenhafte Überlieferung der Speyerer Ratsprotokolle des 16. Jahrhunderts dar: Viele
der für unsere Fragestellungen entscheidenden Jahrgänge fehlen, Nachrichten über die Reformation sind
meist nur in späteren Exzerptbänden und zusammenfassenden Berichten erhalten.26 Ob also die in diesen
und ähnlichen Entwürfen, Gutachten und Bedenken vorgeschlagenen Schritte tatsächlich ausgeführt wer-
den, muss letztlich offen bleiben.
Dennoch kann 1540 als das Jahr der offiziellen Einführung der Reformation gelten:27 Der Rat hatte
seine übervorsichtige Haltung, die er noch 1538 verfolgte, aufgegeben. Diller wurde nun doch noch offiziell
und von Amts wegen als evangelische Prediger angestellt, wie der folgende Auszug aus einer kurzen Refor-
mationsgeschichte nahelegt:28
Bericht wegen der Augustiner Kirchen. Item, wann ungefehr der Rhat und Burgerschafft die Augspurgische
Confession29 angenommen. [...] 11. Aug. [1 ]630 etc.
Es befindet sich auß einem sendbrieff von l[icentia]t Georg Mußbachen, gemeinem vicario in der geistlichkeit
alhie zu Speier, an einen rhat, den 26. junii a[nno] etc. 1540 abgangen und durch notarium Zipperen uberant-
worttet worden, das ein e[hrsamer] Rhat bereits zu der zeit evangelisch und der Augspurg[ischen] confession
gewesen und nit allein zu S. Aegidien, sondern auch von dem priorn, H. Michel Dihlern, in der Augustiner
kirchen, abgeleget, evangelische predigten angehört und dieselbe grossen zulauff gehabt, wie zu sehen in der
Augustiner kirch laden im pacquet No. 1 und No. 2.
Neben den Predigten in der Augustiner- und der Ägidienkirche wurde kurz danach auch in der Domini-
kanerkirche evangelisch gepredigt. Das Dominikanerkloster wurde in eine Ratsschule umgewandelt, wie
dies ebenfalls schon 1538 in einem Bedenken gefordert worden war.30 Sie trat sofort in heftige Konkurrenz
zur Domschule; erster Rektor wurde Johannes Myläus,31 der auch eine Schulordnung verfasste.32

20 Der Darstellung von Eger, Reformation, S. 314 (bzw.
Kurzfassung S. 21) und Biundo, Pfarrerbuch 1968,
S. 86 ist insofern falsch: Weder ist das Dokument ein
Ratsbeschluss noch wird darin die formelle Anstellung
von evangelischen Predigern durchgeführt. Richtig
dagegen bei Alter, Von der Konradinischen Rachtung,
S. 541. Zu Eberhard vgl. Engels, Pfarrkirchen, S. 31
Fußnote 42.
26 Erhalten sind die Ratsprotokolle der Jahre 1549-1552,
1562-1567, 1575, 1584, 1591, 1593-1595, 1598-1601 im
StadtA Speyer 1-B-1. Außerdem mehrere Bände mit
Exzerpten, angefertigt im 18. Jahrhundert (1-B-2),
sowie einzelne Nachrichten über die Reformation, die
aber aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen
(1-A-450-3 fol. 38r; Dublette: fol. 44r).
27 Vgl. König, Reformationsgeschichte, S. 38f.; Simonis,
Historische Beschreibung, S. 221.

28 Der Text ist im Bestand StadtA Speyer 1-A-450-3 in
zwei Versionen erhalten.
29 BSLK S. 44-137.
30 StadtA Speyer 1-A-517 fol. 2-5.
31 Johannes Myläus, 1535 imm. Heidelberg, 1537 Mag.,
1550 Dr. iur. Ferrara, 1552 Prof. Heidelberg, gest. 1554;
vgl. Alter, Von der Konradinischen Rachtung, S. 542;
Biundo, Pfarrerbuch (1968) Nr. 3715; vgl. unten S. 678.
32 StadtA Speyer 1-A-499 fol. 2r-3v. Eine weitere (deut-
sche) Schulordnung des Gymnasiums ist als Handschrift
aus dem Jahr 1595 erhalten (StadtA Speyer 1-A-501-I
fol. 1-40), die auf eine im Jahr zuvor durchgeführte
große Visitation zurückgeht (das Visitationsgutachten in
StadtA Speyer 1-A-499 fol. 14-19). Eine gedruckte
(lateinische) Schulordnung mit einem Lehrplan (als Pla-
katdruck zum Aushang) ist aus dem Jahr 1612/13 erhal-
ten (Lehrplan: StadtA Speyer 1-A-499 fol. 20; Schulord-
nung: StadtA Speyer 1-A-502 fol. 1-16).

78
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften