Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]; Goeters, J. F. Gerhard [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (19. Band = Rheinland-Pfalz, 2, 1. Teilband): Die Reichsstädte Landau, Speyer und Worms - die Grafschaften Leiningen, Sayn und Wied - die Wild- und Rheingrafschaft - das Fürstentum Pfalz-Simmern - die Grafschaft Pfalz-Veldenz (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30659#0095
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

1. Speyer am Vorabend der Reformation

Die Einführung der Reformation in Speyer unterlag ganz ähnlichen äußeren Bedingungen, wie sie auch im
benachbarten Worms galten. Hier wie dort war die Bürgerschaft seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten
in einen Streit mit dem mächtigen und einflussreichen Klerus der Stadt verwickelt. In beiden Städten
lähmten die Sonderrechte der Stifte und Klöster die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt.1 In Worms wie
in Speyer verhinderte die starke Stellung von Kaiser und Bischof die religiöse und politische Emanzipation
der Bürger. Schließlich war es dem pfälzischen Kurfürsten Ludwig V. gelungen, in beiden Städten je einen
seiner Brüder auf den Bischofsstuhl zu heben, was die Vormachtsstellung der Kurpfalz nicht nur über die
Hochstifte, sondern auch über die beiden Reichsstädte festigte.2
Der Speyerer Rat hatte 1420 seine Streitigkeiten mit dem Bischof und den vier Stiften in einem von
Erzbischof Konrad von Mainz ausgehandelten Vertrag beilegen müssen, der sog. Konradinischen Rach-
tung.3 Darin wird zwar der Status der Stadt als Freie Reichsstadt nominell bestätigt, faktisch war ihr aber
durch die Bestätigung umfassender geistlicher Sonderrechte in allen Fragen des Handels, des Steuer- und
Geldwesens und der Gerichtsbarkeit die Lebens- und Handlungsgrundlage entzogen.4
1512/13 brach sich die schwelende Unzufriedenheit unter den Zünften5 in einem Bürgeraufstand
Bahn.6 In dessen Verlauf gelang es dem Rat, seine Stellung gegenüber den rebellischen Zünften zu stär-
ken7 und auf der anderen Seite mit der Geistlichkeit über eine Änderung der Rachtung von 1420 zu ver-
handeln. 1514 wurde eine kaiserliche Kommission gebildet, die am 19. 12. 1514 einen neuen Vertrag verab-
schiedete, die sog. Große Rachtung. Darin wurden die Sonderrechte des Klerus zwar prinzipiell bestätigt,
aber der Stadt gegenüber einige nicht unerhebliche Zugeständnisse gemacht.8
Schon früh sind in Speyer reformatorische Prediger und reformatorisches Gedankengut nachweisbar.9
1518 und 1520 weilte z.B. Martin Bucer längere Zeit in Speyer, und im November 1521 ermahnte der
Bischof die Kleriker und im Mai 1522 noch einmal die Domherren, von ihrer Neigung zu Luthers Lehre
Abstand zu nehmen.10 Der Speyerer Pfarrer Werner von Goldberg veröffentliche 1523 seine Klaggeschrifft
des Ersamen und wirdigen Herren Wernher von Goldberg, pfarrer zu Speyer zu sant Martin gewesen - da war er,
der seit 1513 Pfarrer in Speyer gewesen war und dort für eine Reform von Klerus und Kirche gepredigt
hatte, offenbar kurz zuvor entlassen worden.11 Ende 1522 erging ein Sendschreiben Hadrians VI. an den

1 In beiden Städten stellte der Klerus (mit den entspre-
chenden Dienstleuten) ca. 8-10% der Bevölkerung und
gleichzeitig entfielen auf die sog. Tote Hand [d.i. der
Besitz der Kirche, der dem weltlichen Rechts- und Wirt-
schaftsleben dauerhaft entzogen war] ca. 30-50% des
städtischen Grund- und Hausbesitzes, vgl. Alter, Von
der Konradinischen Rachtung, S. 476; Alter, Bauern-
krieg, S. 1386f.; Eger, Reformation, S. 295f.
2 Vgl. Wolgast, Hochstift, S. 137f., 303.
3 Rachtung = Schlichtungsvertrag, vgl. Grimm, DWb 14,
Sp.31.
4 Vgl. Voltmer, Bischofsstadt, S. 356; Alter, Von der
Konradinischen Rachtung, S. 473, 476.

5 Vgl. Eger, Reformation, S. 297.
6 Vgl. Alter, Bauernkrieg, S. 1375-1379.
7 Vgl. Alter, Von der Konradinischen Rachtung, S. 471f.
8 Vgl. Alter, Von der Konradinischen Rachtung, S. 474.
9 Vgl. auch die Nachweise bei König, Reformationsge-
schichte, über Reformprediger im ausgehenden 15. und
beginnenden 16. Jh., ebd. S. 4-15.
10 Collectio proc. syn. Spirensis fol. 198, 200f. Vgl. Alter,
Von der Konradinischen Rachtung, S. 484f.
11 Vgl. König, Reformationsgeschichte, S. 15-18. Alter,
Von der Konradinischen Rachtung, S 485f. Benrath,
Evangelische Bewegung, S. 294f. Eger, Reformation,
S. 300.

75
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften