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Das Fürstenthum Anhalt.
Ich nehme an, dass die Fürsten die Ordinatio rerum ecclesiasticarum gebilligt haben, und dass
diese, wenn sie auch nicht als Landesgesetz formell publicirt worden ist, so doch thatsächlich
die Richtschnur für die erste Einrichtung des Kirchenwesens in Anhalt gebildet hat, indem die
Fürsten den Entwurf den Landessuperintendenten zur Darnachachtung übersandt haben. Dies
begründe ich folgendermaassen: der erste Superintendent Fabricius, dem als Organisator Anhalt
ausserordentlich viel zu verdanken hat, fügte das von Justus Jonas unterschriebene Original
der „Ordinatio“ seinem (unten näher zu beschreibenden) „letzten Kirchenberichte“ bei. Hierin
hinterlässt er seinen Nachfolgern gewissermaassen sein Testament, indem er ihnen nicht nur
eine Darstellung der wichtigsten kirchlichen Ereignisse giebt, sondern auch eine Zusammen-
stellung der kirchlichen Normen, nach welchen sie sich zu richten haben. Dieser Aufzählung
der geltenden kirchlichen Gesetze fügt er die Ordinatio des Jonas im Original bei und nennt
sie dabei ausdrücklich „Kirchen-Ordnung“. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass
Fabricius sich nach dem „Vorschlage“ des Jonas gerichtet hat und ihn als eine Norm seinen Nach-
folgern mittheilt. Wir haben daher in der (übrigens ganz ausführlichen) Ordnung des Jonas eine
der ersten Kirchen-Ordnungen Anhalts zu erblicken und drucken dieselbe nach dem von Jonas
unterschriebenen Original im Sup.-Archiv zu Zerbst, A. Nr. 29 erstmalig ab. (Nr. 110.)
Jonas muss bei den Fürsten in besonderer Gunst gestanden haben. Einer der
Fürsten übernahm Pathenstelle an seinem Sohne, Joachim, und beschäftigte ihn später
auf seiner Kanzlei als Copist. Joachim muss sich aber dort nicht gut geführt haben, denn
im Dessauer Sup.-Archiv, I. Hauptabtheilung, 7. Unterabtheilung, Nr. 8, findet sich ein Schreiben
des Bruders von Joachim, des Licentiaten beider Rechte Justus Jonas, worin er unter An-
rufung der Pathenschaft und des Gedächtnisses seines Vaters um Gnade für seinen Bruder bittet.
Von einer zweiten Visitation aus dem Jahre 1541 sind uns Bruchstücke in einigen
losen Blättern im Staatsarchive zu Zerbst, Vol. VI, fol. 25, Nr. 122, erhalten. Diese beziehen
sich auf die Visitation von Salegast. Auch finden sich in diesem Archive noch Protokollnotizen
von Kirchenvisitationen in Altenburg, Ilberstedt, Güsten, Waldau, Aderstedt, Plötzkau, Gross-
Wirschleben, Kölbigk. Es steht aber nicht fest, ob sie sich auf die Visitation von 1534 oder
1541 beziehen. Grösseres Interesse beanspruchen sie nicht.
Cap. II. Georg von Anhalt. Die Vollendung der Reformation.
I. Dem Lande war inzwischen im Fürsten Georg ein Reformator und Gesetzgeber er-
wachsen, wie ihn wenige Territorien ihr eigen nennen können. In meinem Buche „Die Kirchen-
gesetzgebung unter Moritz von Sachsen und Georg von Anhalt.“ Leipzig 1899, habe ich ver-
sucht, die grosse Bedeutung, welche Georg von Anhalt für die kirchliche Entwicklung Sachsens
besessen hat, in das gebührende Licht zu rücken. Im Folgenden werde ich das Gleiche für
Anhalt versuchen und kann dabei vielfach auf die Ergebnisse meiner früheren Untersuchung
verweisen, nicht nur bezüglich der Einzelheiten, sondern auch bezüglich des Gesammturtheils
über diesen vortrefflichen Fürsten. —
Wenn man die kirchenrechtliche Bedeutung Georg’svon Anhalt ganz verstehen will, so
darf man sich nicht auf die kirchlichen Verhältnisse Kursachsens im Allgemeinen beschränken,
sondern man muss auch ganz besonders seine Thätigkeit als Bischof von Merseburg in’s Auge
fassen. Kommt Georg für Kursachsen wesentlich nur als Gutachter in Gesetzgebungsfragen in Be-
tracht, so konnte er in seinem Bisthum ganz als ordinarius iudex der alten Kirche — und in diesem
Sinne fasste er seine Stellung als Bischof auf (vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung, S. 83) —
seinen Gedanken freien Spielraum gewähren und dieselben verwirklichen — allerdings selbst hier
nicht völlig frei, denn der Landesherr, der Schützer der beiden Tafeln, griff auch hier wieder-
holt in die Entwicklung der Dinge ein, und Georg hatte sich nach seinen Wünschen zu richten.
Das Fürstenthum Anhalt.
Ich nehme an, dass die Fürsten die Ordinatio rerum ecclesiasticarum gebilligt haben, und dass
diese, wenn sie auch nicht als Landesgesetz formell publicirt worden ist, so doch thatsächlich
die Richtschnur für die erste Einrichtung des Kirchenwesens in Anhalt gebildet hat, indem die
Fürsten den Entwurf den Landessuperintendenten zur Darnachachtung übersandt haben. Dies
begründe ich folgendermaassen: der erste Superintendent Fabricius, dem als Organisator Anhalt
ausserordentlich viel zu verdanken hat, fügte das von Justus Jonas unterschriebene Original
der „Ordinatio“ seinem (unten näher zu beschreibenden) „letzten Kirchenberichte“ bei. Hierin
hinterlässt er seinen Nachfolgern gewissermaassen sein Testament, indem er ihnen nicht nur
eine Darstellung der wichtigsten kirchlichen Ereignisse giebt, sondern auch eine Zusammen-
stellung der kirchlichen Normen, nach welchen sie sich zu richten haben. Dieser Aufzählung
der geltenden kirchlichen Gesetze fügt er die Ordinatio des Jonas im Original bei und nennt
sie dabei ausdrücklich „Kirchen-Ordnung“. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass
Fabricius sich nach dem „Vorschlage“ des Jonas gerichtet hat und ihn als eine Norm seinen Nach-
folgern mittheilt. Wir haben daher in der (übrigens ganz ausführlichen) Ordnung des Jonas eine
der ersten Kirchen-Ordnungen Anhalts zu erblicken und drucken dieselbe nach dem von Jonas
unterschriebenen Original im Sup.-Archiv zu Zerbst, A. Nr. 29 erstmalig ab. (Nr. 110.)
Jonas muss bei den Fürsten in besonderer Gunst gestanden haben. Einer der
Fürsten übernahm Pathenstelle an seinem Sohne, Joachim, und beschäftigte ihn später
auf seiner Kanzlei als Copist. Joachim muss sich aber dort nicht gut geführt haben, denn
im Dessauer Sup.-Archiv, I. Hauptabtheilung, 7. Unterabtheilung, Nr. 8, findet sich ein Schreiben
des Bruders von Joachim, des Licentiaten beider Rechte Justus Jonas, worin er unter An-
rufung der Pathenschaft und des Gedächtnisses seines Vaters um Gnade für seinen Bruder bittet.
Von einer zweiten Visitation aus dem Jahre 1541 sind uns Bruchstücke in einigen
losen Blättern im Staatsarchive zu Zerbst, Vol. VI, fol. 25, Nr. 122, erhalten. Diese beziehen
sich auf die Visitation von Salegast. Auch finden sich in diesem Archive noch Protokollnotizen
von Kirchenvisitationen in Altenburg, Ilberstedt, Güsten, Waldau, Aderstedt, Plötzkau, Gross-
Wirschleben, Kölbigk. Es steht aber nicht fest, ob sie sich auf die Visitation von 1534 oder
1541 beziehen. Grösseres Interesse beanspruchen sie nicht.
Cap. II. Georg von Anhalt. Die Vollendung der Reformation.
I. Dem Lande war inzwischen im Fürsten Georg ein Reformator und Gesetzgeber er-
wachsen, wie ihn wenige Territorien ihr eigen nennen können. In meinem Buche „Die Kirchen-
gesetzgebung unter Moritz von Sachsen und Georg von Anhalt.“ Leipzig 1899, habe ich ver-
sucht, die grosse Bedeutung, welche Georg von Anhalt für die kirchliche Entwicklung Sachsens
besessen hat, in das gebührende Licht zu rücken. Im Folgenden werde ich das Gleiche für
Anhalt versuchen und kann dabei vielfach auf die Ergebnisse meiner früheren Untersuchung
verweisen, nicht nur bezüglich der Einzelheiten, sondern auch bezüglich des Gesammturtheils
über diesen vortrefflichen Fürsten. —
Wenn man die kirchenrechtliche Bedeutung Georg’svon Anhalt ganz verstehen will, so
darf man sich nicht auf die kirchlichen Verhältnisse Kursachsens im Allgemeinen beschränken,
sondern man muss auch ganz besonders seine Thätigkeit als Bischof von Merseburg in’s Auge
fassen. Kommt Georg für Kursachsen wesentlich nur als Gutachter in Gesetzgebungsfragen in Be-
tracht, so konnte er in seinem Bisthum ganz als ordinarius iudex der alten Kirche — und in diesem
Sinne fasste er seine Stellung als Bischof auf (vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung, S. 83) —
seinen Gedanken freien Spielraum gewähren und dieselben verwirklichen — allerdings selbst hier
nicht völlig frei, denn der Landesherr, der Schützer der beiden Tafeln, griff auch hier wieder-
holt in die Entwicklung der Dinge ein, und Georg hatte sich nach seinen Wünschen zu richten.