Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (2. Band = 1. Abtheilung, 2. Hälfte): Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meissen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarzburgischen Herrschaften, die Reussischen Herrschaften, die Schönburgischen Herrschaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstentum Anhalt — Leipzig: O.R. Reisland, 1904

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26561#0538

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
524

Das Fürstenthum Anhalt.

intendent mit seinen Zugeordneten, d. h. wohl weltlichen Beigeordneten, als Vorinstanz zu
schaffen hatte. Dass die weltlichen Behörden die auf Grund der Entscheidung getroffenen An-
ordnungen des Superintendenten kritiklos executiren sollten, musste zu Reibungen führen.
Glücklich kann auch die Bestimmung der Landesordnung nicht genannt werden, wonach nicht
bloss die Superintendenten, sondern auch die Befehlshaber, die Ritterschaft und die Räthe in
Städten über das Leben der Pfarrer und Kirchendiener Aufsicht üben sollten. Zum mindesten
war sie unklar. Was den Fürsten zu dieser sonderbaren Regelung veranlasst hat? Ob er für
seine Rechte fürchtete? Dem Wunsche der Stände entsprach die Regelung jedenfalls nicht.
Denn diese hatten, wie aus der Landesordnung selbst hervorgeht, den Fürsten um Errichtung
eines Landesconsistoriums gebeten.
Der Fürst liess zwar in der Landesordnung erklären, dass er dem Wunsche der Stände
zu willfahren nicht abgeneigt sei, aber bei dieser Erklärung ist es auch geblieben. Das ganze
16. Jahrhundert hindurch hat Anhalt ein Consistorium nicht erhalten.
Übrigens sind die Ehesachen auch nicht immer verschickt, sondern wiederholt direct
vom Fürsten oder den Hofräthen erledigt worden.
Eine directe Entscheidung trifft z. B. Joachim Ernst am 4. Mai 1580 (Zerbst, Super-
intendentur-Archiv, Nr. 18, Bl. 162). Es hat Jemand mehrere Sponsalien abgeschlossen und sich
dann mit Anderen eingelassen. Er wird des Landes verwiesen. Über die Frau könne der
Fürst nicht decidiren, weil sie seiner Botmässigkeit nicht mehr unterworfen sei. Ohne „hiermit
als in gewissen sachen dem consistorio“ vorzugreifen, könne er keinen Grund erfinden, „warum
das brachium seculare sie zum zusammen leben anhalten solle; sie seien vielmehr beide von
einander loszuzählen“.
Dass der Fürst damit doch den Fall auch in spiritualibus entscheidet, scheint nicht
empfunden zu sein. Da im Fürsten sich alle Gewalt concentrirte, war die Unterscheidung von
Gewissenssachen und „weltlichem Arm“ auch höchst problematisch.
In dem Falle eines bestrittenen Eheversprechens wenden sich daher „die verordenten
des ministerii und bürgermeister und rathmannen“ zu Zerbst direct um Entscheidung an den
Fürsten (16. September 1585).
An seiner Stelle entscheiden bisweilen auch seine Hofräthe. So am 29. September
1570 in einer Desertionssache des fürstlichen Koches (Zerbst, Superintendentur-Archiv, Nr. 18,
Bl. 86). So rescribiren sie am 16. September 1586 auf eine Ehescheidungsklage wegen Ehe-
bruches kurzer Hand, dass sich der Kläger bei der besonderen Lage des Falles nicht erst in
einen sonderlichen weitläufigen Process einzulassen brauche, sondern sich sofort verheirathen dürfe.
Die rechte Hand des Fürsten war nach dem Tode des Fabricius zunächst der Super-
intendent M. Abraham Ulrich geworden. Ihm erneuerte Joachim Ernst die im Jahre 1545 vom
Fürsten Georg dem Fabricius ertheilte Instruktion. Die wenigen Änderungen sind bei dieser
in Anmerkungen mit abgedruckt worden.
Visitationen stellte der Landesherr in der Landesordnung als regelmässige Einrichtung
in Aussicht, und zwar, wenn es noth thun sollte, als jährliche Einrichtung. Dass dies aber
durchgeführt worden ist, wissen wir nicht.
Von Visitationen aus seiner Regierungszeit erfahren wir überhaupt nicht viel. Über die
Visitation von 1567/1568 ist oben S. 509 gehandelt. Eine Visitation, die um 1571/1572 durch
Ulrich vorgenommen wurde, scheint wesentlich finanzielle Fragen berührt zu haben. Von einer Visi-
tation im Cöthen’schen Landestheile von 1574, welche der Superintendent Petrus Haring abhielt,
wissen wir, dass dort namentlich über das unrechte Beten Klage erhoben wurde (Bekker, Zeit-
schrift für Kirchengeschichte, 1901, S. 281). Unter „Beten“ ist das Hersagen des Katechismus
gemeint. „Beten heisst zur kinderlehre kommen.“ Die Visitatoren trafen für die Pfarreien eine
gleichmässige Ordnung, welche Hartung, a. a. O. S. 211 und Bekker in: Zeitschrift für
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften