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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (2. Band = 1. Abtheilung, 2. Hälfte): Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meissen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarzburgischen Herrschaften, die Reussischen Herrschaften, die Schönburgischen Herrschaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstentum Anhalt — Leipzig: O.R. Reisland, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.26561#0553

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Das Fürstenthum Anhalt.

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andererseits aber ihren Unterthanen in dieser Beziehung keinen Zwang auferlegen wollten —
ein Zeugniss aufgeklärter Anschauung, wie es für diese Zeit äusserst selten ist, ein Zeugniss
wahrhaft landesväterlicher und friedliebender Gesinnung.
Zum Abschlusse möge noch der Familienvertrag zu Bernburg vom 15. April 1635 Er-
wähnung finden, in welchem es nach der Versicherung, dass die Fürsten bei der Lehre ihrer
Vorfahren bleiben wollen, heisst: „Was aber die kirchenceremonien anlangt, wollen wir uns auch
darüber nach anleitung der am 7. august 1606 und am 19. märz 1611 aufgerichteten verträgen
einer conformität vergleichen und es dahin richten, dass alle jahre auf einen tag des monats
mai ein disputation etlicher unser räthe und theologen angeordnet ist.“
Eine Zusammenfassung aller Reversalien und Zusagen der Fürsten bezüglich des Con-
fessionsstandes finden wir noch in einer Supplik des Rathes der Stadt Zerbst, vom 12. Januar
1643 (Zerbst, Superintendentur-Archiv, Nr. 28). Diese Supplik und ihre Schicksale werden hier
aber nicht weiter dargestellt.
III. Werfen wir zum Schlusse einen Blick auf die Fortentwicklung des eigentlichen
Kirchenrechts in dieser letzten Periode des 16. Jahrhunderts, so sind sonderliche Fortschritte
nicht zu verzeichnen. Es kann uns dies nicht Wunder nehmen. Die ganze Kraft der Betheiligten,
der Fürsten an der Spitze, war auf die Lehrfragen und die Einführung der oben erwähnten
liturgischen Veränderungen gerichtet, und ihr Interesse durch diese sowie durch die hierdurch
entstandenen Streitigkeiten völlig in Anspruch genommen.
Nicht unerwähnt dürfen wir aber die Visitation vom Jahre 1587 lassen. Johann liess
dieselbe bald nach seinem Regierungsantritte, vom 9. Mai 1587 ab, veranstalten. Ihr Zweck
und ihre Bedeutung erhellen am besten aus einem uns überlieferten Auszuge aus der Instruktion
für die Visitation und aus der Instruktion für die Execution der Visitation, vom 21. September
1588. Bei der Seltenheit rechtlicher Maassnahmen aus dieser letzten Periode bringen wir sie
aus Zerbst, Superintendentur-Archiv, XXIX, Bl. 12 ff., 257 ff., zum Abdruck. (Nr. 128 u. Nr. 129.)
Stark ausgebildet tritt uns das landesherrliche Regiment entgegen. Die kirchliche
Überzeugung des Landesherrn ist die maassgebende. Die Neuerungen gehen ausschliesslich
vom Fürsten selbst aus; die ganze reformirte Strömung ist wesentlich ein Ausfluss des Willens
des Landesherrn. Er regiert. Zwar wird dies theoretisch noch nicht behauptet. Die Landes-
herrn rechtfertigten ihr Vorgehen immer noch mit dem religiösen Berufe der weltlichen Obrig-
keit und ihrer Pflicht, für das Seelenheil der Unterthanen zu sorgen. Das „fürstliche,
tragende Amt“, das jus supremae inspectionis (vgl. Landtagsabschied Dessau, 6. April 1589),
berechtigen und verpflichten den Fürsten. Aber auch in Anhalt tritt uns die zweite Gedanken-
reihe, mit welcher das thatsächlich vorhandene Regiment des Landesherrn im 16. Jahrhundert
theoretisch erklärt und begründet wurde (vgl. Rieker, Die rechtliche Stellung der evan-
gelischen Kirche Deutschlands. Leipzig 1893, S. 208 ff.), die Übertragung der bischöflichen
Jurisdiction entgegen. In einer Supplik vom Jahre 1609 machen 30 adlige Familien den
Fürsten darauf aufmerksam, dass alle seine Anordnungen, die er sub praetextu episcopalis
audientiae vel supremae inspectionis zu treffen sich erlaube, ungesetzlich seien.
Die Supplik motivirte ihren Vorwurf mit Verletzung der feierlichen Versprechungen und
Landtagsabschiede und mit Verletzung der Rechte der Stände.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts treten nämlich die Stände wieder stark in den Vorder-
grund. Sie benutzen bei den finanziellen Schwierigkeiten der Fürsten das Steuerbewilligungs-
recht, um politische Rechte zu erringen. Sie beanspruchen, wie man aus der Supplik ersieht
(Duncker, Nachwort, S. 18), dass der Fürst ohne ihre Mitwirkung, ja ohne ihre Zustimmung
keine Änderungen in kirchlichen Dingen vornehmen, insbesondere keine Ordnungen erlassen solle.
Die Stände sind es auch, welche die Fortbildung der Kirchenverfassung wiederholt an-
regen. Das erfahren wir aus der Landesordnung von 1572, das ersehen wir aus dem Landtags-
 
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