Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0058
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grafschaft Schaumburg

Um seinem Willen auch in Obernkirchen Nachdruck zu verschaffen, ordnete Otto IV. am 8. Dezember
1564 eine außerordentliche Visitation des Stifts an. Die Übertragung der Leitung an den schaumburgischen
Kanzler Johannes Gogreve119 zeigt die Bedeutung, die der Graf dieser Maßnahme beimaß. Auch der Rat
seines Bruders Wilhelm, seit 1558 Propst in Hildesheim120, die Visitation auf einen günstigeren Termin zu
verschieben, konnte Otto IV. nicht umstimmen121. In seinem Schreiben an Gogreve drang er darauf, den
Stiftsfrauen die Beachtung der Kirchen- und der Klosterordnung nochmals einzuschärfen. Laut der
Instruktion sollte die Kommission bei der Visitation jede Konventualin einzeln befragen und, wo sie fest-
stellte, daß die junfern alle oder ihrer etzliche die kirchen ordnungen durchaus oder in etzlichen arikeln nicht
hielten, diese in den articulis fidei unterrichten und von ihrem Irrtum abzulassen auffordern. Den Konven-
tualinnen, die sich weigerten, der Ordnung zu folgen, wurde Bedenkzeit bis Ostern eingeräumt. Hielten sie
dann noch an ihrem Widerstand fest, sollten sie aus dem Stift Obernkirchen entfernt werden.
Bei der Visitation bestanden die Stiftsdamen aber auf ihren alten Zeremonien. Sie beriefen sich dabei auf
die von ihnen geleisteten Gelübde. Den vom Grafen eingesetzten Prediger wollten sie nicht akzeptieren. In
der Folge störten sie dessen Gottesdienst immer wieder durch Zwischenrufe, bis der Graf ihnen den Zugang
zur Empore versperren ließ122. Auch an der Stelle, an der in der Kirche die bei der Visitation entfernte
Marienstatue gestanden hatte, scheint es weiterhin zu Akten der Devotion gekommen zu sein123. Einer
Konventualin, die auf dem Sterbebett das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen wollte, wurde dies
von ihren Mitschwestern verweigert124.
Selbst der Tod des Obernkirchener Propstes Johannes Kostken Ende des Jahres 1564 führte zu keiner
Beruhigung125. Graf Otto IV. verbot dem Konvent die Wahl eines neuen Propstes und installierte an dessen
Stelle mit Johannes Witschiwe einen Amtmann126. Die Konventualinnen setzten sich aber über das Verbot
des Grafen hinweg und wählten am 24. Februar 1565 mit dem Mindener Dechanten Anton Minsche einen
der Testamentsvollstrecker Kostkens zum neuen Propst127. Unterstützung fanden sie in ihrer Haltung beim
Administrator des Bistums Minden, Georg von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel128. Der Administra-
tor forderte Otto IV. mit Hinweis auf die Lehensabhängigkeit Schaumburgs vom Hochstift Minden auf, die
Propstwahl zu akzeptieren. Das Ansinnen wies der Graf aber in scharfer Form zurück und beharrte sei-
nerseits auf seinen Rechten als Landesherr129. Der Mindener Administrator trat auch der Klage der Stifts-
frauen bei, die diese beim Reichskammergericht in Speyer einreichten. Diese Klage richtete sich zum einen
gegen die Okkupation der Propstei durch den Grafen, zum anderen gegen dessen Versuch, sie zur Aufgabe
ihres Glaubens zu zwingen130. Der Konflikt mit dem Obernkirchener Konvent scheint den Grafen sogar
veranlaßt zu haben, 1566 auf dem Reichstag in Augsburg seine Position zu verteidigen131. Darüber hinaus
bat er mehrere protestantische Fürsten (u.a. Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Christoph von
Württemberg) um ihre Unterstützung in der Angelegenheit132.
Die Stellung des Obernkirchener Konvents geriet jedoch ins Wanken, als nach dem Tod Herzog Georgs
von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel am 4. Dezember 1566 mit Hermann von Schaumburg der älteste

119 Zu Johannes Gogreve vgl. Husmeier, Graf Otto IV.,
passim.
120 Zu ihm vgl. Bei der Wieden, Schaumburgische Genea-
logie, S. 128.
121 Vgl. Brosius, Stift Obernkirchen, S. 154.
122 Vgl. den Bericht Anton Notholds von den Vorfällen in
Bei der Wieden, Einführung der Reformation, S. 48f.
123 Vgl. Brosius, Stift Obernkirchen, S. 159.
124 NLA Bückeburg L 1, Nr. 3288.
125 Zu Johannes Kostken s. das Biogramm unter Nr. 2, Anm.
1 sowie die zugehörige Einleitung, S. 32f.
126 Zu Johannes Witschiwe, einem engen Vertrauten des Gra-
fen, vgl. Husmeier, Graf Otto IV., S. 200 mit Anm. 43.

127 Zur Auseinandersetzung um das Testament Kostkens vgl.
Brosius, Stift Obernkirchen, S. 155.
128 Zu Herzog Georg von Braunschweig-Lüneburg-Wolfen-
büttel, 1554-1566 Administrator des Bistums Minden
und 1558-1566 Erzbischof von Bremen und Bischof von
Verden, vgl. Gatz, Bischöfe, S. 223f. und unten S. 505.
129 NLA Bückeburg F 3, Nr. 568.
130 Im Bestand L 1, Nr. 3370 des NLA Bückeburg findet sich
ein umfangreicher Akt über den vor dem Reichskammer-
gericht ausgetragenen Prozeß.
131 Vgl. die Hinweise bei Brosius, Stift Obernkirchen,
S. 164.
132 Vgl. Husmeier, Graf Otto IV., S. 201.

38
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften