Einleitung
Mit der Errichtung der Kirchenstühle entstand aber auch das Problem ihrer Vergabe. In der Regel
nahmen diese Aufgabe die Kirchenvorsteher, Kirchenpfleger oder Kastenherren wahr. Sie verkauften die
Stühle zu einem bestimmten Preis an ein Mitglied der Gemeinde zur Nutzung auf Lebenszeit. Nach dessen
Tod fiel der Stuhl an die Kirche zurück. Auch bei den Stühlen, die von Gemeindegliedern selbst errichtet
worden waren, bestand in der Regel nur ein lebenslängliches Nutzungsrecht; ein Vererben der Stühle war
nicht gestattet. Die durch die Veräußerung der Stühle eingenommenen Gelder flossen in die Kirchenfa-
brik206.
Die Errichtung und Verteilung der Kirchenstühle war ein häufiger Zankapfel zwischen den Gemeinde-
gliedern207 . Ein solches stul-gezänck veranlaßte im Jahr 1603 auch das Schaumburger Konsistorium zu einer
Anfrage bei der gräflichen Kanzlei, wie man mit den Kirchenstühlen verfahren solle. In ihrer Entscheidung
bestätigte die Kanzlei, daß die Kirchenstühle gegen Geld vergeben werden sollten, aber nur auf Lebenszeit.
Im Unterschied zur sächsischen Kirchenordnung von 1580 wurde es aber gestattet, den Stuhl ad vitam an
andere Personen weiterzugeben oder zu veräußern. Dafür bedurfte es anscheinend auch nicht der Zustim-
mung der Kirchenvorsteher oder -pfleger208.
Während die Kanzlei des Grafen Ernst die Verpflichtung der Gläubigen zum Kauf der Kirchenstühle in
ihrer Entscheidung von 1603 nicht weiter begründete, sah sich Graf Philipp zu Schaumburg-Lippe ein
halbes Jahrhundert später im Fall der Bückeburger Kirche209 zu einer Rechtfertigung dieser Auflage genö-
tigt. Er tat dies mit dem Hinweis auf die für die Erhaltung der neuen Kirche in Bückeburg dringend
notwendigen Einnahmen aus dem Verkauf der Kirchenstühle: Da aber vor Gott im himmel, der ehrbaren welt
und der christlichen posterität nicht zu verantworten ist, dass ein solch ansehnliches [...] kirchengebäude in
abgang gerate [...], haben alle eingepfarrten hausherren und haußfrauen ihre darin habenden oder künftig anzu-
legenden stellen oder stände [...] zu beweinkaufen und damit bei todesfällen zu continuiren210. Die Gewohnheit
des Kirchenstuhlverkaufs blieb in der Grafschaft Schaumburg noch bis weit in das 20. Jh. erhalten211.
19. Anweisung an die beiden Superintendenten zu verschiedenen Gegenständen, 4. März 1609 (Text S. 93)
Die Instruktion Graf Ernsts für die beiden Superintendenten Johann Jakob Bernhardi und Johann Michel-
bach212 umfaßt vier Gegenstände: 1. die Prüfung angehender Bewerber auf eine Pfarrei mittels einer öffent-
lichen Disputation, 2. den Ausgleich zwischen besser und schlechter dotierten Pfarreien, 3. die Versorgung
der Frauen und Kinder verstorbener Pfarrer und 4. die Einführung der offenen Beichte nach der Predigt.
Von diesen Punkten scheint in der Folge nur ein Teil umgesetzt worden zu sein. In der 1614 veröffentlichten
neuen Kirchenordnung, die das Werk der beiden Superintendenten war, finden Disputationen von Pfarr-
stellenbewerbern keine Erwähnung. Vielleicht meinten Bernhardi und Michelbach darauf verzichten zu
können, nachdem das Programm der theologischen Fakultät des 1610 in Stadthagen eingerichteten Gym-
nasium illustre213 solche Disputationen bereits vorsah (in theologia et iurisprudentia legendo et disputando,
tam publice quam privatim)214. Auch der Gedanke eines Ausgleichs zwischen besser und schlechter dotierten
Pfarreien scheint von den Superintendenten nicht weiter verfolgt worden zu sein. Nachrichten über die in
206 Vgl. Mainusch, Bemerkungen zum Kirchenstuhlrecht,
S.170-173.
207 Siehe z.B. Sehling VII,2,2,1, S. 1210 (Grafschaft Olden-
burg, Visitationsbescheid für Bardenfleth).
208 Vgl. auch Otte, Orte der Unruhe, S. 145.
209 Zu dieser 1615 in der neuen Residenz Bückeburg errich-
teten repräsentativen Kirche vgl. Bei der Wieden,
Renaissancefürst, S. 34-36 und Thorsten Albrecht,
Die Bückeburger Stadtkirche. Ein bedeutendes Beispiel
der deutschen Spätrenaissance, Petersberg 1999, darin
S. 95ff. zum Gestühl.
210 Wiedergabe des Zitats nach Otte, Orte der Unruhe,
S. 144.
211 Ebd., S. 156-161.
212 Zu Bernhardi und Michelbach vgl. die Biogramme unter
Nr. 19, Anm. 1 und 2.
213 Zum Gymnasium illustre in Stadthagen vgl. Schor-
mann, Academia Ernestina, S. 32-86, zur theologischen
Fakultät S. 59-65.
214 Vgl. Nr. 21, S. 140 und 164.
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Mit der Errichtung der Kirchenstühle entstand aber auch das Problem ihrer Vergabe. In der Regel
nahmen diese Aufgabe die Kirchenvorsteher, Kirchenpfleger oder Kastenherren wahr. Sie verkauften die
Stühle zu einem bestimmten Preis an ein Mitglied der Gemeinde zur Nutzung auf Lebenszeit. Nach dessen
Tod fiel der Stuhl an die Kirche zurück. Auch bei den Stühlen, die von Gemeindegliedern selbst errichtet
worden waren, bestand in der Regel nur ein lebenslängliches Nutzungsrecht; ein Vererben der Stühle war
nicht gestattet. Die durch die Veräußerung der Stühle eingenommenen Gelder flossen in die Kirchenfa-
brik206.
Die Errichtung und Verteilung der Kirchenstühle war ein häufiger Zankapfel zwischen den Gemeinde-
gliedern207 . Ein solches stul-gezänck veranlaßte im Jahr 1603 auch das Schaumburger Konsistorium zu einer
Anfrage bei der gräflichen Kanzlei, wie man mit den Kirchenstühlen verfahren solle. In ihrer Entscheidung
bestätigte die Kanzlei, daß die Kirchenstühle gegen Geld vergeben werden sollten, aber nur auf Lebenszeit.
Im Unterschied zur sächsischen Kirchenordnung von 1580 wurde es aber gestattet, den Stuhl ad vitam an
andere Personen weiterzugeben oder zu veräußern. Dafür bedurfte es anscheinend auch nicht der Zustim-
mung der Kirchenvorsteher oder -pfleger208.
Während die Kanzlei des Grafen Ernst die Verpflichtung der Gläubigen zum Kauf der Kirchenstühle in
ihrer Entscheidung von 1603 nicht weiter begründete, sah sich Graf Philipp zu Schaumburg-Lippe ein
halbes Jahrhundert später im Fall der Bückeburger Kirche209 zu einer Rechtfertigung dieser Auflage genö-
tigt. Er tat dies mit dem Hinweis auf die für die Erhaltung der neuen Kirche in Bückeburg dringend
notwendigen Einnahmen aus dem Verkauf der Kirchenstühle: Da aber vor Gott im himmel, der ehrbaren welt
und der christlichen posterität nicht zu verantworten ist, dass ein solch ansehnliches [...] kirchengebäude in
abgang gerate [...], haben alle eingepfarrten hausherren und haußfrauen ihre darin habenden oder künftig anzu-
legenden stellen oder stände [...] zu beweinkaufen und damit bei todesfällen zu continuiren210. Die Gewohnheit
des Kirchenstuhlverkaufs blieb in der Grafschaft Schaumburg noch bis weit in das 20. Jh. erhalten211.
19. Anweisung an die beiden Superintendenten zu verschiedenen Gegenständen, 4. März 1609 (Text S. 93)
Die Instruktion Graf Ernsts für die beiden Superintendenten Johann Jakob Bernhardi und Johann Michel-
bach212 umfaßt vier Gegenstände: 1. die Prüfung angehender Bewerber auf eine Pfarrei mittels einer öffent-
lichen Disputation, 2. den Ausgleich zwischen besser und schlechter dotierten Pfarreien, 3. die Versorgung
der Frauen und Kinder verstorbener Pfarrer und 4. die Einführung der offenen Beichte nach der Predigt.
Von diesen Punkten scheint in der Folge nur ein Teil umgesetzt worden zu sein. In der 1614 veröffentlichten
neuen Kirchenordnung, die das Werk der beiden Superintendenten war, finden Disputationen von Pfarr-
stellenbewerbern keine Erwähnung. Vielleicht meinten Bernhardi und Michelbach darauf verzichten zu
können, nachdem das Programm der theologischen Fakultät des 1610 in Stadthagen eingerichteten Gym-
nasium illustre213 solche Disputationen bereits vorsah (in theologia et iurisprudentia legendo et disputando,
tam publice quam privatim)214. Auch der Gedanke eines Ausgleichs zwischen besser und schlechter dotierten
Pfarreien scheint von den Superintendenten nicht weiter verfolgt worden zu sein. Nachrichten über die in
206 Vgl. Mainusch, Bemerkungen zum Kirchenstuhlrecht,
S.170-173.
207 Siehe z.B. Sehling VII,2,2,1, S. 1210 (Grafschaft Olden-
burg, Visitationsbescheid für Bardenfleth).
208 Vgl. auch Otte, Orte der Unruhe, S. 145.
209 Zu dieser 1615 in der neuen Residenz Bückeburg errich-
teten repräsentativen Kirche vgl. Bei der Wieden,
Renaissancefürst, S. 34-36 und Thorsten Albrecht,
Die Bückeburger Stadtkirche. Ein bedeutendes Beispiel
der deutschen Spätrenaissance, Petersberg 1999, darin
S. 95ff. zum Gestühl.
210 Wiedergabe des Zitats nach Otte, Orte der Unruhe,
S. 144.
211 Ebd., S. 156-161.
212 Zu Bernhardi und Michelbach vgl. die Biogramme unter
Nr. 19, Anm. 1 und 2.
213 Zum Gymnasium illustre in Stadthagen vgl. Schor-
mann, Academia Ernestina, S. 32-86, zur theologischen
Fakultät S. 59-65.
214 Vgl. Nr. 21, S. 140 und 164.
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