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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Dörner, Gerald [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0138
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Grafschaft Schaumburg

Hie merck, daß wir nicht von der Kirchen als von
einer Idea Platonica reden, da niemand wisse, wo sie
zufinden sey, Sondern, wie droben gesagt ist113, Gott
wil aus grosser Barmhertzigkeit gegen dem Mensch-
lichen Geschlecht ihm für und für ein Heufflein
samblen, daß ihn und |74| den Heiland Jesum Chri-
stum recht erkenne und anruffe. Unnd wil darumb,
daß seine Lehre öffentlich geprediget werde, wie im
Psalm geschrieben stehet: In alle Land ist ihre stim
außgangen114.
So offt wir nun diesen Articul im Symbolo sprechen:
Ich gleube, das eine heilige Kirche sey115, das ist eine
Versamblung, die das Evangelium in rechtem, glei-
chen verstand helt, darin viel Außerwelte sind zu
ewiger Seligkeit, sollen wir uns der Göttlichen Zu-
sage trösten, die bezeuget, daß der Sohn Gottes ge-
wißlich zu allen zeiten biß zu der Aufferweckung der
Todten eine ewige Kirche im Menschlichem Ge-
schlecht samblet.
Darnach sollen wir uns auch umbsehen, wo diesel-
bige ist, Nemblich, wo diese Zeichen gefunden wer-
den, die nicht verborgen seyn können, sondern mit
Ohren unnd Augen zu mercken sind: Nemblich reine
Lehre des Evangelii, rechter brauch der Sacrament
unnd den Gehorsamb gegen dem Ministerio in Gött-
lichen |75| Geboten.
Da ist nun klar, das alle Menschen außgeschlossen
werden, die diese Zeichen nicht haben, als nemblich
Heiden, Mahometisten, die itzige Juden, Ketzer,
Ebioniten116, Manicheer, Arrianer, Pelagianer etc.,
und alle Verfolger reiner Lehre des Evangelii und
ihre Anhenger, die auch wissentlich zur Verfolgung
113 S. 115.
114 Ps 19,5.
115 Der dritte Artikel des Symbolum Apostolicum.
116 Judenchristliche Gruppe, welche die jüdischen Ritual-
gesetze beobachtete und bei Irenäus (haer. I 26, 2), Ter-
tullian (Praesc. X 8, XXXIII 5) und Eusebius (h. e. III
27) Erwähnung findet. Vgl. auch die Erwähnung der
Ebioniten als Häretiker bei Luther (WA 8, S. 270 und
292 sowie WA 9, S. 718).
117 Gemeint ist Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561), des-
sen spiritualistische Theologie mit ihrem starken Innen-
Außen-Dualismus zu einer Marginalisierung des äußer-
lichen Wortes und der äußerlichen Gestalt der Kirche

helffen. Und diesen Bericht mussen alle Menschen
wissen, rechte Gliedmaß der Kirchen von den fal-
schen zu unterscheiden. Dazu ist die Regel allen
Menschen vorgestellet, Galat. I [9]: Wer ein ander
Evangelium prediget, dann ich gepredigt habe,
spricht Paulus, der sey verflucht.
So wir nun wissen, wo unnd welche die rechte Kir-
che Gottes ist, sind alle Menschen schuldig, sich zu
derselben zuhalten und in derselben Bürger und
Gliedmaß zuwerden, mit derselbigen Gott anruffen,
bekennen, Sacrament empfahen, rechte Lehr helffen
pflantzen und diese Versamblung helffen erbawen,
nicht zerrütten, wie dieses außgedruckt ist Psalm 26
[5-6]: Ich hasse die Versamblung der Gottlosen. Ich
|76| halte mich, Herr, zu deinem Altar. Und Psalm 27
[4]: Diß einig hab ich gebeten vom Herrn, das ich all
meine tage bleibe im Hause des Herrn. Und Psalm
84 [5]: Wol denen, die im Hause des Herren wohnen.
Und Psalm 92 [14]: Die in das Hauß des Herrn ge-
pflantzet sind, die werden blüen. Und Psalm 122 [6]:
Ihr sollet Jerusalem alles gute wünschen. Und wer
sie liebet, dem wird gutes wiederfaren. Matth. 12
[30]: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich. Item
Rom. 8 [30]: Welche er erwehlet hat, die hat er auch
beruffen.
Dieses alles sol man betrachten, so wir diesen Arti-
cul sprechen: Ich gleube eine heilige Kirche, unnd
sollen uns selber zur rechten Kirchen halten und
nicht zu den Verfolgern, sollen auch nicht wollen
Neutrales seyn, sollen nicht im Land irre lauffen
und eigene opiniones tichten und alle Ministeria
unnd Kirchen tadelen, wie Stenckfeldt117 gethan etc.
Und so wir in der rechten Kirchen Gliedmaß sind
mit ihren Ämtern und ihrer Sakramentsverwaltung
führt. Die Heilige Schrift und ihre Auslegung vermögen,
anders als der Heilige Geist, keinen Glauben zu bewir-
ken. Beim Abendmahl wird jegliche realpräsentische
Vorstellung abgelehnt und stattdessen die geistliche Nie-
ßung im Wort durch den Glauben als alleinige Teilhabe
an Leib und Blut Christi betont. Schwenckfelds Auffas-
sungen führten rasch zum Bruch mit Luther, später
dann auch mit dem ihm zunächst zugetanen Bucer und
den Straßburgern Theologen. 1540 wurden Schwenck-
felds christologische Lehren durch den Schmalkaldener
Bundestag verworfen. Vgl. TRE 30, S. 712-719; RGG4 7,
Sp. 1072-1074; Theologen des 16. Jh., S. 191-208.

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