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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0227
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Einleitung

Am 15. Mai 1548 ließ Karl V. auf dem Augsburger Reichstag den Reichsständen das sogenannte „Inte-
rim“ verkünden242. Vier Tage später berichtete Hans von Uslar243 dem Goslarer Rat von ersten kritischen
Äußerungen zum Interim. Die Goslarer Delegation kam erst am 24. Mai in den Besitz einer Abschrift des
Interims, die anscheinend jedoch zahlreiche Fehler aufwies244. Die Vertreter der Reichsstädte ersuchten den
Kaiser um einen Aufschub für ihre Erklärung, was der Kaiser aber ablehnte. Am 30. Mai forderte der
kaiserliche Rat Heinrich von Hase die Goslarer Gesandten bei einem Treffen in der Herberge Granvellas
nachdrücklich auf, das Interim gehorsamlich anzunemen und zu verfolgen245.
Der Goslarer Rat legte die Abschrift des Interims den evangelischen Geistlichen zur Begutachtung vor.
Anscheinend nahmen die Prädikanten am 22. Juni zunächst einmal mündlich dazu Stellung (so wy munt-
licken des Frydages na Viti martiris [...] gedan hebben), bevor sie dann am 14. Juli 1548 dem Rat die
schriftliche Fassung zusandten. Bei ihrer Prüfung lag den Prädikanten wohl bereits eine Abschrift des von
Melanchthon verfaßten „Bedencken auffs Interim der Theologen zu Wittenberg“ vor246. Die Prädikanten
lehnten das Interim ab. Ihre Kritik richtete sich dabei vor allem gegen die Werkgerechtigkeit, das Mess-
opfer und die Fürbitte der Heiligen247. Mit dem Hinweis auf die „clausula Petri“ in Apg 5,29 verweigerten
die Prädikanten ihren Gehorsam gegenüber dem Interim.
Mit der Stellungnahme der evangelischen Geistlichen war klar, daß auch ihre Pfarrgemeinden dem
Interim nicht folgen würden. Der Rat befürchtete nun erneute Unruhen, wie es sie nach dem Bekanntwer-
den der Bedingungen des Kaisers für eine Aussöhnung gegeben hatte, wenn er das Interim annahm. In
seiner Instruktion wies er daher die Goslarer Gesandten in Augsburg an, den Kaiser mit dem Hinweis auf
die Stimmung in der Bevölkerung inständig zu bitten, die Stadt bis zu einem gemeinen freien Konzil bei der
angestammten Religion zu belassen. Wenn es bei den Zeremonien Mängel gäbe, sei er zu deren Abstellung
gerne bereit. Nur im Notfall sollten die Gesandten die Zustimmung der Stadt zum Interim erklären248.
Da die kaiserlichen Räte das Goslarer Ansinnen rundweg ablehnten und die Suspendierung der Reichs-
acht auslief, sahen sich die Goslarer Gesandten schließlich am 17. Juli 1548 zur Annahme des Interims
gezwungen. Wie befürchtet, kam es in der Stadt zu Unruhen unter der Bevölkerung. Der Rat zögerte
daraufhin, die Annahme des Interims durch eine entsprechende Ratifikationsurkunde zu bestätigen. Erst
auf mehrmaliges Drängen der Vertreter des Kaisers sandte der Rat am 15. September 1548 eine entspre-
chende Ratifikationsurkunde nach Augsburg249. Wie andere norddeutsche Städte setzte der Goslarer Rat
das Interim aber nicht um: Er beließ die evangelischen Geistlichen im Amt und nahm auch keine Ände-
rungen an den kirchlichen Strukturen vor. Als sich der Kaiser in einem Schreiben vom 22. März 1551
darüber beschwerte, vertröstete ihn der Rat mit der Bemerkung, daß es ihm nicht möglich sei, alle Dinge
auf einmal zu verändern250.

darinnenn sie vorschienener tzeit auff anhaltenn des hert-
zogen vonn Braunschweigk erclart worden).
242 Der Text des Interims in RTA JR 18,2, S. 1910-1948.
Zum Interim s. auch RGG4 4, Sp. 193f. und TRE 16,
S. 230-237.
243 Die von Uslar waren ein seit dem Ende des 13. Jh. im
Goslarer Rat vertretenes Geschlecht.
244 Auszüge aus diesem Schreiben in Hölscher, Geschichte
des Interims, S. 57f.
245 Ebd., S. 58-60.
246 Jedenfalls findet sich am Schluß der im StadtA Goslar
B 4563 befindlichen Abschrift des „Bedencken“ die Datie-

rung: Finis die Junii 16. Die Abschrift ist ediert in Höl-
scher, Geschichte des Interims, S. 79-92.
247 Vgl. auch Seven, Goslarer Reformation, S. 89f.
248 Ebd., S. 64-67 und 72f.
249 Siehe das Schreiben des Rates an den kaiserlichen Rat
Heinrich von Hase vom 15. September 1548 in StadtA
Goslar B 4553. Darin behauptet der Rat, eine entspre-
chende Ratifikationsurkunde bereits früher durch einen
Boten nach Augsburg gesandt zu haben. Dieser habe den
Kaiser dort aber nicht angetroffen und die Urkunde daher
wieder mit nach Goslar zurückgebracht.
250 Vgl. Hölscher, Geschichte des Interims, S. 76-78.

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