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Telekleides

Sollte die Vermutung einer ,agonalen‘ Komödie auch für die Hesiodoi
zutreffen, bliebe die Frage offen, mit welchen ,Antagonisten“ sich die ver-
meintlichen Anhänger des Hesiod konfrontiert sähen. Die Annahme einer
Auseinandersetzung Hesiod und Anhänger vs. Tragiker ist zwar möglich, wirft
aber zugleich weitere Fragen auf: dürfte man sich mittelmäßige Vertreter der
Gattung wie etwa Philokles (und vielleicht Nothippos) als würdige Gegner
des altverdienten Hesiod vor stellen? Müßte man annehmen, daß die weibliche
Figur, die sich von Philokles abgestoßen fühlt (fr. 15), die Poiesis selbst ist,
welche als Komödienfigur auftritt und vielleicht die Rolle des Schiedsrichters
übernimmt? Oder, wenn diese Gestalt die Tragödie verkörpert, könnte sie
selbst einige Tragiker verschmäht, andere (wenn ja, welche?) hinwieder ge-
genüber ihren Rivalen verteidigt haben? Könnte ferner fr. 42 (inc.fab.) - wenn
die Lesart von cod. F Εύριπίδας σωκρατογόμφους zugrunde gelegt wird -
Euripidesse bzw. Euripides und dessen Anhänger suggerieren, welche selbst
als Rivalen der Hesiode auftraten, deren eine die Träger moderner Formen
und Werte, die anderen hingegen Verteidiger traditioneller Werte darstellen
(so Ornaghi 2012, 408-10)? Wirkte eine solche Auseinandersetzung zwischen
einem frühen Epiker und einem weitaus jüngeren, zeitgenössischen Tragiker
- zumindest im Vergleich zu Homer vs. Hesiod im Certamen (zwei frühere
Vertreter derselben Gattung), Archilochos vs. Homer in Kratinos’ Archilochoi
(zwei frühere Vertreter verschiedener Gattungen), Aischylos vs. Euripides
in Aristophanes’ Fröschen (zwei zeitlich nahe Vertreter derselben Gattung) -
nicht etwa asymmetrisch? Unerachtet der textkritischen Schwierigkeiten von
fr. 42 (Εύριπίδας σωκρατογόμφους ist nur eine von vielen möglichen Lesarten)
ist darüber hinaus die Persiflage des Euripides (und des Sokrates) auch in an-
deren Fragmenten vorhanden (fr. 41, vielleicht auch fr. 40). Die Folgerung auf
die Spitze getrieben, müßten sonach diese gesamten Fragmente den Hesiodoi
zugewiesen werden - ein höchst fragwürdiges und durchaus willkürliches
Unterfangen. Die Annahme einer Rivalität zwischen Hesioden und Tragikern
scheint somit eher Probleme zu generieren als sie zu lösen.
Es dürfte näher liegen, daß die damalige Assoziierung der Hesiod-Gestalt
mit einem ländlichen, friedlichen, vielleicht auch gerechten Leben (wie im
Certamen) die Komödie eher in die Sphäre der Dialektik ,ersehnter Frieden“/
,aktueller Kriegszustand“ projizierte, was eine Datierung an den Beginn des
Peloponnesischen Krieges und in der Tat noch vor Perikies’ Tod realistisch
erscheinen ließe. Überdies ist in dieser Komödie von Perikies die Rede (fr. 18)
und politische Aktualität mit bzw. im Rahmen von literarischer Polemik wäre
nichts Abstruses.
Literaturkritische Fragen waren nicht selten Gegenstand der attischen
Komödie: außer den Fröschen des Aristophanes seien v.a. die auf demselben
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