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Incertarum fabularum fragmenta (fr. 46)

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bei Strab. IX 1,14 wird es anonym überliefert und von Psyttaleia gesagt, einer
felsigen Insel vor dem Piräus).
Die Position von δοθιήνας innerhalb des Verses könnte nun folgende apo
fcoinou-Konstruktion suggerieren: einerseits als Apposition zu Aigina (,aus
Aigina, der Furunkel-InseP), was überdies νήσου verständlicher (und kei-
neswegs pleonastisch) machen würde, andererseits als Gen. zu τό πρόσωπον,
das nunmehr auf Perikies zu beziehen sein dürfte, und zwar mit Anspielung
auf die ,beulen‘-artige Form seines Kopfes. Das Fragment könnte somit die
Realisierung des Perikies-Ausspruches andeuten: aus der ,Eiterbeulen‘-Insel
kehrt nunmehr der ,Beulenkopf-Mann zurück. Die leichte Inkongruenz, wel-
che zwischen λήμη und δοθιήν besteht, ist wohl dahingehend zu erklären, daß
sich das zweite Bild füglicher auf die Kopfform des Perikies übertragen ließ
als ein ,Körnchen“.
Wenn dieser Spruch des Perikies - wie Aristoteles und namentlich Plu-
tarch es nahelegen - im zeitgenösssichen Athen in aller Munde war, mußte das
Publikum die Assoziation Aigina/,Furunkel“ sogleich begreifen (selbst nach der
kurzen Pause der Mitteldihärese), zumal wenn die kontextuelle Verankerung
des Verses - vielleicht die Parabase (vgl. van Leeuwen 1888, 273-4) - für
direkte politische Polemik geeignet und die antiperikleische Persiflage bereits
zuvor adäquat vorbereitet bzw. eingeleitet worden war (theoretisch könnten
die anapästischen fr. 45. 46 demselben Kontext zugehören). So mußte das
darauffolgende εχων τό πρόσωπον fast wie ein Aprosdoketon wirken: einem
,Furunkel“ gleicht doch Perikies (-Kopf) selbst, nicht allein Aigina. Anders
formuliert: der üble Vergleich, den Perikies gegen Aigina verwendet hatte,
wird nun gegen ihn selbst eingesetzt.
Konkret dürfte sich die Anspielung auf die Rückkehr des Perikies aus
Aigina nach der Sommer-Expedition vom J. 431 v.Chr. beziehen (Bergk
1838, 331; so auch Meineke II. 1 373, Wilamowitz 1870, 25 und Geißler 1925b,
26),184 bei der die gesamte Einwohnerschaft der Insel vertrieben, ihr Land an
attische Epoikoi verteilt worden war. Zwar wurde dies mit dem Argument
angefochten, die Führung dieser Expedition durch Perikies lasse sich weder
aus Thukydides noch aus Plutarch folgern (Thuc. II 27,1; Plut. Per. 34,2; vgl.
hingegen Thuc. II 31,1, wo für den Einmarsch in die Megaris ausdrücklich

184 Vgl. auch Muhl 1881, 79, der für Perikies’ ,Furunkelgesicht“ an eine „Anspielung
auf die gegen die Aegineten ausgeübte Härte“ denkt (unter Verweis auf Ael. Var.
hist. II 9) und es zur Erklärung von Ar. Vesp. 1172 heranzieht, wo das Bild des
zwiebelumhüllten Furunkels auf „den kriegerischen Perikies“ übertragen wird (die
vermeintliche Verheerung Aiginas durch Perikies wird in den Sommer 431 und das
Stück in das Jahr 431/0 v.Chr. gesetzt).
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