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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Jahresfeier am 24. Mai 2003
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Darstellung der Arbeiten der Preisträger
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Walter-Witzenmann-Preis
DOI Artikel:
Valk, Thorsten: Panoptikum der Schwermut - Melancholie im Werk Goethes
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0031
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24. Mai 2003

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nach mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Vorstellung der Mensch dem Teufel,
wenn er seine Melancholie nicht überwinden kann. In den >Tischgesprächen< Mar-
tin Luthers heißt es in Anlehnung an Augustinus: »Em melancholisches Haupt ist em
Badehaus des Teufels«. Wenn sich Faust im Verlauf seines Eingangsmonologes in
immer depressivere Gemütszustände hineinsteigert und in der zweiten Studierzim-
mer-Szene sogar die höchsten menschlichen Ideale verflucht, so begibt er sich in den
Machtbereich des Teufels, der in Gestalt Mephistos sogleich zur Stelle ist und mit
Faust den bekannten Pakt abschließt. Mephisto, der Geist, der stets verneint, erweist
sich als Ausgeburt der Melancholie.
Vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen stellt sich abschließend
die Frage, warum gerade im Werk Goethes die Melancholie eine so zentrale Rolle
spielt. Zum einen spiegeln die Dichtungen vom >Werther< bis zum >Faust< die melan-
cholische Zeitstimmung des ausgehenden 18. und des frühen 19. Jahrhunderts. Zum
anderen aber korrespondieren sie auch mit der psychischen Disposition des Autors
Goethe, der zeit seines Lebens unter der Melancholie gelitten hat. Unser Bild des
Weimarer Dichterfürsten ist vor allem durch die späten autobiographischen Werke
geprägt worden, die unter dem Motto der klassischen Heiterkeit stehen, die Darstel-
lung einer lebendigen Erfahrungsfülle in den Vordergrund rücken und gleichzeitig
die Melancholie in äußerst eng umnssene Grenzen verweisen. Diese Form der bio-
graphischen Selbststilisierung muß als bewußt gewähltes und oft auch nur ober-
flächlich wirksames Regulativ zu jenen Seelenleiden begriffen werden, die Goethe
ein Leben lang gequält haben. Nichts als »Mühe und Arbeit« sei sein Leben gewe-
sen, gesteht Goethe im hohen Alter. »Und ich kann wohl sagen«, resümiert er, »daß
ich in meinen fünfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen
gehabt«.


Albrecht Dürer: Melencolia I (1514)
 
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