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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 7. Februar 2003
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Schmidt, Ernst A.: Rudolf Borchardts Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0041
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7. Februar 2003 | 53

Ureinheit von Dichter und Volk. Der Urdichter ist zugleich der Gesetzgeber, der
Geschichtsschreiber, der Philosoph, der Sänger, der politische Warner gewesen. Ihrem
ursprünglichen Anspruch nach „Setzung und Deutung der Welt“, umfaßt die Dich-
tung, was sich später trennte, „Geschichte und Philosophie, Naturlehre, Volksrecht
und Gotteskunde“.
Borchardts Arbeiten zur Antike sind Übersetzungen, Studien, Essays, Vorträge,
Nachworte, von der Ilias Homers bis zur Germania desTacitus. Zu ihrer Illustration
sind drei strukturell verschiedene Beispiele zu geben, nämlich je eines für Restaura-
tion von Frühe und Ursprung, für Restauration eines Anfangs und dazwischen eines
für Restauration einer Restauration.
Zu griechischem Völkermorgen ist ausgewählt: „Altionische Götterlieder/
unter dem Namen Homers. Deutsch von Rudolf Borchardt“, München 1924. Im
Nachwort heißt es: „Dem Ideale von Menschlichkeit, das Goethe und sein Zeitalter
in die alten Verse hineinlasen, sind wir [...] entwachsen. Ob das neue Menschen-
ding, das wir hineinlesen, und um dessentwillen wir dies erste Muster einer uns
gemäßen, kathartischen und heroischen [...] Dichtung an die Spitze unserer Ver-
öffentlichungen rücken, ihrem Geiste gemäßer sei, wird die Geschichte entschei-
den.“ Das ist an ambitiöser Programmatik kaum zu überbieten. Der Anspruch der
‘Schöpferischen Restauration’ verbindet sich mit der Methode der Dante-Überset-
zung von 1904—1923.
Borchardt restauriert die sog. Homerischen Hymnen in einem Ausscheidungs-
akt, der zur Wiedergewinnung von „Blüten aus dem Morgengarten des Menschen-
geschlechts“ führt, jenen von ihm in Übersetzung vorgelegten vier größeren Hym-
nen. Die kritische Arbeit hatte neben der Aussonderung der späteren Stücke auch die
ausgewählten Lieder zu restaurieren und ihren authentischen Text wiederzugewin-
nen. Borchardt ‘scheidet’ nicht nur die Spätantike und Byzanz ‘ab’, sondern sogar
noch das 6. und 5. Jh. v. Chr. Was er gewinnt, ist Gesang, wie er „vor Urvölkern [...]
gesungen worden“ sei. Damit stellt er sich gegen die Forschung, die alle Hymnen
erst nach den homerischen Epen ansetzt. Der Katharsis hatte auch „der deutsche
klassizistische Hexameter“ zu weichen. Damit war der Antiketradition von Goethe
bis Wilamowitz das Urteil gesprochen.
Borchardt erobert eine Dichtung zurück, die ursprünglicher als Homer sei. Mit
diesem Erlebnis steht er im Horizont des zeitgenössischen Interesses am Archaischen
und Ursprünglichen, welches mit einer Entthronung der Klassik oder ihrer Verwer-
fung als des Abfalls vom Ursprung und des Beginns der Seins Vergessenheit von
Nietzsche bis Heidegger einhergeht und sich in Dichtungen der Zeit äußert. In
Borchardts „Einleitung in das Verständnis der Pindarischen Poesie“ steht der Satz:
„Der Sieg der Demokratie ist hier wie in Mittelalter und Neuzeit das Ende der Poe-
sie“. Das bezeichnet auch die zeitverwerfende Stoßrichtung des restaurativen Über-
setzungsunternehmens: antidemokratische, antiliberale Apotheose ursprünglicher
Menschheit als eines sich in Gemeinschaft und Dichter heiligenden nationalen
Volksganzen.
Im Zentrum der Borchardtschen Antike steht Pindar, der nicht Frühe, sondern
selbst Restauration von Frühe ist. Er ist Borchardts Selbstporträt. 1931 kommt der
 
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