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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 7. Februar 2003
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Schmidt, Ernst A.: Rudolf Borchardts Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0043
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7. Februar 2003

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Ton an, wie er von aller eristischen Dialektik nicht zu trennen ist; [...] die Ergrün-
dung einer Wahrheit (ist) Platon vollständig gleichgültig [...] und das menschlich
persönliche Phänomen die Hauptsache.“ Das ist em unbegreifliches Mißverständnis,
bzw., verrät eine liebende Gewalt, die von vornherein das Eigenrecht des Geliebten
vernichtet (und sich selbst gegen alles Widerständige durchsetzt). Die Liebeshingabe
des Ichs gilt der Objektivation des eigenen Selbst im fremden Text. Das verursacht
jenen trüben Schleier des Ungenauen und Willkürlichen, der die innere Form der
Borchardtschen Übersetzung geworden ist. Es geht Platon um die Ergründung einer
Wahrheit, und der Dialog, der auf das Wissen aus ist, was Freundschaft sei, scheitert
überzeugend im sokratischen Wissen des Nichtwissens.
(ii) Arnold sagt: „Hier liegt Walter Pater wie immer aufgeschlagen neben
mir; es sind die Greek Studies. Er wird Ihnen immer Wertvolleres über alles Hier-
hergehörige mitzuteilen haben als deutsche Antiquare, Hildegard Hummel
hat dargelegt, daß und wie Borchardt von Paters (1839-1894) Platonauffassung
geprägt ist. Entscheidend ist für ihn, daß der Philosoph zuerst Dichter gewesen
und es als Philosoph geblieben sei,Vermittler „zwischen der sinnlichen und der sitt-
lichen Welt“. Während aber für Pater der platonische Dialog schwierige Wahrheits-
suche bleibt, wird für ihn die Vorstellung der Präsenz des Sittlichen im Sinnlichen
so übermächtig, daß die Idealität in den Personen und im Szenischen aufgeht und
kein Bedarf mehr am philosophischen Gehalt des Gesprächs bleibt. Arnold und
Borchardt sehen das Szenische, Atmosphärische, Zwischenmenschliche mit Paters
Augen und glauben, eben dieser liebenden Wahrnehmung die Sache der Philosophie
opfern zu müssen. Grundlegend ist die Behauptung, der Lysis sei „eines der ersten
Werke Platons, die den Vers aufgeben“. „Es ist wunderbar und geheimnisvoll, an
diesen frühen Dingen zu sehen, wie die neue Form sich bildet [...]. Ich meine das
Gespräch. Diese Form bildet sich erst; sie ist noch nicht reif. Lysis und Charmides
haben dieses Bezaubernde von etwas trunken Hingeworfenem“. Borchardt hat
dieses Urteil später wiederholt (1920). Die schon bei den Griechen sich von
der Poesie abzweigende Philosophie sammle sich noch einmal „im gewaltigsten
dichterischen Ingenium vielleicht, das Griechenland erzeugt hat, in Platon“.
Doch dieser habe gegen seine eigenen Gegebenheiten gewütet, um sich zu spalten,
sich vom dichterischen Körper loszureißen, „daraus erzeugend noch eine wunder-
volle neue, damals geschaffene Form des Dichterischen, den Dialog“, in den er dann
aber „die begriffliche, die logische und dialektische Materie“ so hineingedrängt
habe, „daß die Form gesprengt wurde, und von dort aus die Dichtung und das
Dichterische [...] so hassend, wie nur der Dichter das Dichterische hassen kann“.
Die Restauration dieses Anfangs ist der Kampf zugunsten einer ‘causa victa’, gegen
Platon, gegen eine von der Poesie getrennte und die Poesie bekämpfende Philoso-
phie.
In den gegenüber Platon veränderten Zentralaussagen der Übersetzung wächst
ein Bild der Liebe zusammen, das nicht ganz widerspruchsfrei sein kann, weil bei
allem Willen zu Einheitlichkeit doch den jeweils einander widerlegenden Schritten
des aporetischen Dialogs gefolgt, d.h. die äußere Form nicht zerbrochen werden soll-
te, wie für eine Übersetzung zuletzt unvermeidbar.
 
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