Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2003
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 8. Februar 2003
DOI Artikel:
Franke, Werner: Geheime Protokolle eines Großversuchs an Menschen im Sport: Bilanz einer unerwünschten wissenschaftlichen Begutachtung und ihren Folgen in Medizin, Strafrecht, Politik und im öffentlichen Bewusstsein
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0047
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8. Februar 2003 | 59

Dr. Bernd Pansold ist es außerdem zu verdanken, dass durch ihr Revisionsbegehren
auch der Bundesgerichtshof (BGH) sich grundsäztlich zum pharmakologischen
Missbrauch im Sport äußern musste: In seiner Entscheidung vom 9. Februar 2000
verwarf der 5. Strafsenat die Revision des Dr. Pansold und stellte dazu u.a. aus-
drücklich fest: „Das festgestellte Ausmaß organisierter gesundheitlicher Gefährdung
bis hm zu konkreter Schädigung ... verbietet es ... zu erwägen, die hier in Frage
stehenden Fälle einer Fallgruppe minderer Kriminalität zuzurechnen.“ Nach dieser
Wertung des BGH handelt es sich also bei solchen Fällen des Doping um erhöht kri-
minelles Handeln, und das muss ja wohl für alle Arten Deutschlands — West, Ost,
Gesamt — gelten.
So schleppend die Ermittlungen auch gewesen sein mögen, so spät und so
gewollt milde auch die Strafen erscheinen, das Jahrzehnt der „Aufarbeitung“ des
Arzneimittelmissbrauchs im Sport der DDR hat doch zu einer Reihe weiterer wich-
tiger Ergebnisse auf diesem Gebiet geführt:
• Hunderte von Dokumenten, Stasi-Berichten, Anklageschriften, Strafurteilen,Ver-
nehmungsprotokollen und Krankengeschichten sind erhalten und gesammelt:
Geheime Wahrheiten, die nun öffentlich bekannt sind und zum Teil im „Center
for American History“ an der Universität von Texas in Austin eingesehen sowie
von dort über das Internet abgerufen werden können. Auch die „Stiftung zur Auf-
arbeitung der SED-Diktatur“ in Berlin-Mitte hat viele solcher Dokumente als
Schenkung erhalten und archiviert.
• Eine Neufassung des Arzneimittelgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom
1. September 1998, in der nicht nur ausdrückliche Bestimmungen zum „Verbot
von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport“ (§ 6a) aufgenommen sind, son-
dern auch die Strafvorschriften des § 95 nun deutlich erhöhte Strafen (z.B. in
„besonders schweren Fällen“ Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren) vorsehen.
• Em vom Deutschen Bundestag am 14. Juni 2002 beschlossenes Gesetz (Doping-
opfer-Hilfegesetz), durch das insgesamt 2 Millionen Euro zur teilweisen Entschä-
digung von Doping-Opfern der DDR mit nachweislichen, gutachterlich festge-
stellten gesundheitlichen Schäden zur Verfügung gestellt wurden. Hieraus sind bis-
her 185 anerkannte Opfer (bei insgesamt über 300 Anträgen) entschädigt worden.
• Die Gründung des Doping-Opfer-Hilfe-Verein e.V in Weinheim, der sich um
rechtliche wie gesundheitliche Probleme von Doping-Opfern kümmert.
• Dissertationen (u. a. 22, 23) und Monographien auf Deutsch wie in anderen Spra-
chen (z.B. 2, 3, 19, 21—24), die sich mit verschiedenen Aspekten dieses riesigen
Doping-Systems befassen.
Das Doping-System des DDR-Sports mit seinen — nach eigenen Angaben —
jährlich neu hinzugekommenen 2000 Opfern ist in seinem Ausmaß sicher ver-
gleichbar mit dem anderer Ostblock-Staaten, in seiner „deutschen“ Systematik,
Organisationstiefe, geheimdienstlichen Durchdringung und Aufzeichnungsakribie
aber sicher herausragend. Auf der anderen Seite hat es auch in „westlichen“ Ländern
em illegales, aber verbreitetes Doping-System gegeben, das ganz anders organisiert
war, nämlich in relativ kleinen konspirativen Gruppen, wie in kriminellen Kreisen
auch sonst üblich. Während solche Organisationsformen in einigen Staaten zumin-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften