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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 13. Dezember 2003
DOI Artikel:
Kirchhof, Paul: Das Steuerrecht als Ausdruck einer freiheitlichen Verfassung
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0088
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100 | SITZUNGEN

meinschaft durchsetzbaren Anspruch. Die Freiheit wird staatlich anerkannt, das Frei-
heitsrecht staatlich gewährt. Das moderne Freiheitsverständnis wendet sich deshalb
stets an den Verfassungsstaat, der seine Hoheitsgewalt zur Freiheitsgarantie einsetzt.
Damit wird der Staat in seiner Verfassungsbindung zum Garanten, in seiner Staatsge-
walt aber auch zum potentiellen Gegner der Freiheit.
Diese Doppelstellung eines Staates, der Freiheit gewährleistet und gleichzeitig
bedroht, zeigt sich besonders im Steuerrecht. Das Freiheitsrecht wehrt grundsätzlich
staatliches Handeln ab; der Staat achtet die Freiheit, in dem er sie nicht verletzt. Die
Unantastbarkeit der Menschenwürde, die ungestörte Religionsausübung, die Unver-
letzlichkeit der Wohnung erwarten staatlichen Freiheitsrespekt durch Unterlassen.
Wendet man dieses Freiheitsrecht als Abwehrrecht auf die Steuer an, so wehrt es
jeden staatlichen Zugriff auf das privatnützig Eigene ab, verbietet also die Wegnah-
me von Eigentum. Eine Enteignung wäre allenfalls gegen Entschädigung zulässig,
käme also für eine Besteuerung nicht in Betracht.
Eine nähere Zuordnung von Eigentumsgarantie und Steuer zeigt aber, dass die
Steuer Bedingung der Freiheit ist. Der Staat steht vor der Alternative, sich entweder
durch Staatsunternehmen als Produzent, Händler und Arbeitgeber zu finanzieren,
also die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit weitgehend in staatliche Hand zu
übernehmen, oder aber Berufs- und Eigentümerfreiheit zu garantieren, also das
Arbeiten, Erwerben und Wirtschaften in privater Hand zu belassen. Garantiert eine
Staatsverfassung wirtschaftliche Freiheit, muss sich der Staat strukturell aus der staats-
eigenen Erwerbswirtschaft zurückziehen, sich dann aber durch Teilhabe am Erfolg
privaten Wirtschaftens, also durch Steuern finanzieren.
Für die konkrete Ausgestaltung des Steuerrechts fordert die Verfassung eine
maßvolle und gleichmäßige Last, die zur Finanzierung der Staatsaufgaben ausreicht.
Das deutsche Ertragsteuerrecht in seiner heutigen Gestalt entspricht nicht diesen
Anforderungen des Grundgesetzes. Es bedarf der Reform. Ein grundlegend erneu-
ertes Einkommensteuergesetzbuch hat sich an folgenden Zielen orientiert:
1. Nur noch eine Einkunftsart
Alle Einkünfte der Steuerpflichtigen sollen gleich behandelt werden. Deshalb tritt an
die Stelle von sieben nur noch eine Einkunftsart. Die Zusammenfassung aller Ein-
künfte in einer Einkunftsart schließt Lastenunterschiede aus, weil einkunftsspezifi-
sche Sondervorschriften nicht mehr vorhanden sind.
2. Wegfall aller Lenkungs- und Durchbrechungsnormen
Das Einkommensteuergesetz wird von allen Lenkungs- und Durchbrechungsnor-
men befreit, um den steuerlichen Belastungsgrund wieder für jedermann sichtbar
und nachvollziehbar zu machen. Dadurch wird zugleich die Bemessungsgrundlage
für den bundesstaatlichen Finanzausgleich und für die Staatsquote berichtigt. Auch
in Zukunft unverzichtbare Subventionen sollen als Leistungssubventionen erbracht
werden, um die Kontrolle von Parlament und Öffentlichkeit in den jährlichen Bud-
getberatungen zu ermöglichen. Das durch Wegfall der Ausnahmetatbestände erhöh-
 
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