Manfred G. Schmidt | 139
wirken von acht Faktoren, das mir den beruflichen Weg und das Fortkommen auf
ihm ebnete - und nur das Zusammenwirken all dieser Faktoren, ihre Verknüpfung
zu einem multiplikativen Erklärungsmodell, vermag diesen Weg nachzuzeichnen
und im sozialwissenschaftlichen Sinne zu erklären.
Der erste Faktor liegt im Wiederaufbau des vom Kriege schwerstgeschädigten
Landes und im darauf gegründeten Wirtschaftsaufschwung. Wideraufbau und Auf-
schwung mehrten den Wohlstand im westlichen Teil Deutschlands wie nie zuvor,
sorgten durch Verteilung und Umverteilung für mehr Wohlstand für buchstäblich alle
und erlaubten meinen Eltern, die sparsam wirtschaften mussten, eine längere Ausbil-
dung zumindest eines ihrer zwei Kinder zu erwägen — nach damaliger Sitte fiel diese
Wahl auf den Sohn, nicht auf die Tochter.
Mein zweiter Erklärungsfaktor führt in die Welt der Politik. Die politische
Führungsschicht der Bundesrepublik Deutschland nutzte den rasch zunehmenden
wirtschaftlichen Reichtum der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts für vieler-
lei, zunächst für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, ferner für Ausbau der Sozial-
politik und sodann für die Finanzierung der Bundeswehr. Mit Zeitverzögerung
folgte der Ausbau des Bildungswesens, das in den Kriegsjahren und schon zuvor
im nationalsozialistischen Staat knapp gehalten war. Der Ausbau des Bildungswesens
öffnete auch den Zugang zum Gymnasium und zu den Universitäten für Kinder aus
Gesellschaftsschichten mit bis dahin geringer Beteiligung am höheren Bildungs-
wesen. Und diese Öffnung ebnete auch mir den Weg, der später in die Wissenschaft
als Beruf führen sollte.
Flelfer, Unterstützer, Förderer standen mir überdies zur Seite. Als ich einge-
schult wurde, man schrieb 1955, hatte der Wirtschaftsaufschwung das Bildungswesen
noch nicht erreicht. Dort herrschten noch beengte Verhältnisse. Mit rund 50 Mit-
schülern drückte ich die Schulbank im Kellergeschoss der Pestalozzi-Volksschule in
Friedrichshafen. Doch Klassenstärken von 50 Schülern können in einem erstaunli-
chen Maß aufgewogen werden, und zwar durch tatkräftige, engagierte und qualifi-
zierte Lehrer. Mein Volksschullehrer, der verehrte Herr Stockmeier, besaß all diese
Eigenschaften und vollbrachte das Kunststück, 50 lebhafte Grundschüler zu zähmen
und ihnen zugleich das Lesen und Schreiben beizubringen, das Verfassen von
Gedichten und Theaterstücken, das Rezitieren und das Theaterspielen — und zudem
die Freude am Lernen. Und damit habe ich einen dritten wichtigen Faktor benannt,
der meinem Weg förderlich wurde: zur richtigen Zeit der richtige Lehrer.
Selbstverständlich war dies auch ein wichtiger Faktor im Gymnasium, im Stu-
dium und in der Assistentenzeit, ja: auch weit darüber hinaus. Von den akademischen
Lehrern, von denen ich besonders viel lernte, verdient Erwähnung vor allen anderen
mein Doktorvater und der Betreuer meines Habilitationsvorhabens, Gerhard Lehm-
bruch, Professor emeritus der Universität Konstanz. Lehmbruch gründete seine For-
schung und Lehre auf eine beeindruckend breite Grundlage. Zu ihr gehörten der
Abschluss des Studiums der evangelischen Theologie in Tübingen, die Jahre des Ler-
nens bei Theodor Eschenburg, bei dem er zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft
und später als Assistent wirkte, ferner das Studium bei führenden Vertretern der fran-
zösischen Politikwissenschaft, unter anderem bei Maurice Duverger, und zudem die
wirken von acht Faktoren, das mir den beruflichen Weg und das Fortkommen auf
ihm ebnete - und nur das Zusammenwirken all dieser Faktoren, ihre Verknüpfung
zu einem multiplikativen Erklärungsmodell, vermag diesen Weg nachzuzeichnen
und im sozialwissenschaftlichen Sinne zu erklären.
Der erste Faktor liegt im Wiederaufbau des vom Kriege schwerstgeschädigten
Landes und im darauf gegründeten Wirtschaftsaufschwung. Wideraufbau und Auf-
schwung mehrten den Wohlstand im westlichen Teil Deutschlands wie nie zuvor,
sorgten durch Verteilung und Umverteilung für mehr Wohlstand für buchstäblich alle
und erlaubten meinen Eltern, die sparsam wirtschaften mussten, eine längere Ausbil-
dung zumindest eines ihrer zwei Kinder zu erwägen — nach damaliger Sitte fiel diese
Wahl auf den Sohn, nicht auf die Tochter.
Mein zweiter Erklärungsfaktor führt in die Welt der Politik. Die politische
Führungsschicht der Bundesrepublik Deutschland nutzte den rasch zunehmenden
wirtschaftlichen Reichtum der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts für vieler-
lei, zunächst für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, ferner für Ausbau der Sozial-
politik und sodann für die Finanzierung der Bundeswehr. Mit Zeitverzögerung
folgte der Ausbau des Bildungswesens, das in den Kriegsjahren und schon zuvor
im nationalsozialistischen Staat knapp gehalten war. Der Ausbau des Bildungswesens
öffnete auch den Zugang zum Gymnasium und zu den Universitäten für Kinder aus
Gesellschaftsschichten mit bis dahin geringer Beteiligung am höheren Bildungs-
wesen. Und diese Öffnung ebnete auch mir den Weg, der später in die Wissenschaft
als Beruf führen sollte.
Flelfer, Unterstützer, Förderer standen mir überdies zur Seite. Als ich einge-
schult wurde, man schrieb 1955, hatte der Wirtschaftsaufschwung das Bildungswesen
noch nicht erreicht. Dort herrschten noch beengte Verhältnisse. Mit rund 50 Mit-
schülern drückte ich die Schulbank im Kellergeschoss der Pestalozzi-Volksschule in
Friedrichshafen. Doch Klassenstärken von 50 Schülern können in einem erstaunli-
chen Maß aufgewogen werden, und zwar durch tatkräftige, engagierte und qualifi-
zierte Lehrer. Mein Volksschullehrer, der verehrte Herr Stockmeier, besaß all diese
Eigenschaften und vollbrachte das Kunststück, 50 lebhafte Grundschüler zu zähmen
und ihnen zugleich das Lesen und Schreiben beizubringen, das Verfassen von
Gedichten und Theaterstücken, das Rezitieren und das Theaterspielen — und zudem
die Freude am Lernen. Und damit habe ich einen dritten wichtigen Faktor benannt,
der meinem Weg förderlich wurde: zur richtigen Zeit der richtige Lehrer.
Selbstverständlich war dies auch ein wichtiger Faktor im Gymnasium, im Stu-
dium und in der Assistentenzeit, ja: auch weit darüber hinaus. Von den akademischen
Lehrern, von denen ich besonders viel lernte, verdient Erwähnung vor allen anderen
mein Doktorvater und der Betreuer meines Habilitationsvorhabens, Gerhard Lehm-
bruch, Professor emeritus der Universität Konstanz. Lehmbruch gründete seine For-
schung und Lehre auf eine beeindruckend breite Grundlage. Zu ihr gehörten der
Abschluss des Studiums der evangelischen Theologie in Tübingen, die Jahre des Ler-
nens bei Theodor Eschenburg, bei dem er zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft
und später als Assistent wirkte, ferner das Studium bei führenden Vertretern der fran-
zösischen Politikwissenschaft, unter anderem bei Maurice Duverger, und zudem die