152 | ANTRITTSREDEN
die Kölner Schule mit ihrer Hinwendung zum Kritischen Rationalismus eines Karl
R. Popper, damals vor allem vertreten durch Hans Albert, der dann wichtigste
Gegenpol zur bald nicht nur die Soziologie dominierenden Kritischen Theorie der
sog. Frankfurter Schule.
Im Königreich in Köln selbst herrschte eine großeVielfalt der Perspektiven. Im
Grunde waren alle Spielarten, auch die nicht-analytischen und die „kritischen“,
kompetent und überzeugend vertreten, und daraus ergab sich eine Art von durch
Anschauung erzwungener multiparadigmatischer Toleranz derart, dass man schon
sah, was jeweils der andere wichtige Punkt war, aber auch was jeweils auf der ande-
ren Seite fehlte und welche verschiedenen Gesichtspunkte in einer übergreifenden
Theorie des Sozialen würden enthalten sein müssen. Deutlich unterstützt wurde die
Erweiterung der paradigmatischen Perspektiven durch den eher zwanglosen Kontakt
zur experimentell arbeitenden Sozialpsychologie einerseits und durch die zunächst
durchaus eher erzwungene Befassung mit den theoretischen Modellierungen der
Ökonomen, die bei aller nicht unberechtigter Kritik an ihrem Modell des homo
oeconomicus immerhin als eine mächtige Möglichkeit erschien, alles das dann
tatsächlich im Sinne einer „physique social“ fassen zu können. Und es wurde durch
sie dann auch jener Gesichtspunkt deutlich verankert, mit dem sich alle luftigen
Behauptungen der inzwischen modisch gewordenen Konstruktivismen der ver-
schiedensten Art letztlich dann doch auseinander zu setzen haben, nämlich, dass es
neben allem anderen stets auch ganz materielle Restriktionen und durch Institutio-
nen mehr oder weniger unverrückbar festgelegte Interessen gibt, ein Gesichtspunkt,
der, das sei nur am Rande erwähnt, nicht weit weg war von den grundlegenden
theoretischen Ideen eines gewissen Karl Marx, dessen Name damals dann bald in, für
mich jedenfalls, auch erstaunlichen anderen Zusammenhängen genannt wurde.
Kurz: Durch, ich sehe das jedenfalls heute so, einige schon recht unwahr-
scheinliche Umstände entstand schon bald die Vorstellung, dass alle die verhandelten
Richtungen etwas Wichtiges zu sagen haben. Und dass es möglich sein müsse, die
jeweiligen Gesichtspunkte zu verbinden, um die zu beobachtenden Einseitigkeiten
zu vermeiden, darunter besonders die der neoklassischen Ökonomen einerseits und
die der zahllosen soziologischen Gesellschaftsphilosophen andererseits. Das allerdings
dann im Rahmen einer Theorie, letztlich natürlich nur denkbar nach der methodo-
logischen Leitidee einer „physique social“. Also: Interessen, Institutionen und Ideen,
kausale Prozesse ebenso wie intentionale Reflexionen, kalkulierende Rationalität
ebenso wie unbedachte Traditionalität oder automatisch ausgelöste Emotionen,
Erklären ebenso wie Verstehen u.a. müssten mit dieser übergreifenden Methodolo-
gie vereinbar sein. Ferner: Dass es kaum einen Sinn machen könne, zwischen idio-
graphischen und nomothetischen Methoden, zwischen qualitativen und quantitati-
ven Verfahren oder zwischen soziologischen und historischen Analysen grundsätzli-
che Unterschiede sehen zu müssen; dass es möglich sein könne und müsse, auf
Wertungen bei der Beurteilung von wissenschaftlichen Aussagen zu verzichten, ohne
gleichwohl zu den sozialen Problemen indifferent bleiben zu müssen; dass es soziale
Eigengesetzlichkeiten geben könne, ohne diese im Walten übergreifender Gesell-
schafts- oder Geschichtsgesetze verankern zu müssen; und dass es insbesondere kei-
die Kölner Schule mit ihrer Hinwendung zum Kritischen Rationalismus eines Karl
R. Popper, damals vor allem vertreten durch Hans Albert, der dann wichtigste
Gegenpol zur bald nicht nur die Soziologie dominierenden Kritischen Theorie der
sog. Frankfurter Schule.
Im Königreich in Köln selbst herrschte eine großeVielfalt der Perspektiven. Im
Grunde waren alle Spielarten, auch die nicht-analytischen und die „kritischen“,
kompetent und überzeugend vertreten, und daraus ergab sich eine Art von durch
Anschauung erzwungener multiparadigmatischer Toleranz derart, dass man schon
sah, was jeweils der andere wichtige Punkt war, aber auch was jeweils auf der ande-
ren Seite fehlte und welche verschiedenen Gesichtspunkte in einer übergreifenden
Theorie des Sozialen würden enthalten sein müssen. Deutlich unterstützt wurde die
Erweiterung der paradigmatischen Perspektiven durch den eher zwanglosen Kontakt
zur experimentell arbeitenden Sozialpsychologie einerseits und durch die zunächst
durchaus eher erzwungene Befassung mit den theoretischen Modellierungen der
Ökonomen, die bei aller nicht unberechtigter Kritik an ihrem Modell des homo
oeconomicus immerhin als eine mächtige Möglichkeit erschien, alles das dann
tatsächlich im Sinne einer „physique social“ fassen zu können. Und es wurde durch
sie dann auch jener Gesichtspunkt deutlich verankert, mit dem sich alle luftigen
Behauptungen der inzwischen modisch gewordenen Konstruktivismen der ver-
schiedensten Art letztlich dann doch auseinander zu setzen haben, nämlich, dass es
neben allem anderen stets auch ganz materielle Restriktionen und durch Institutio-
nen mehr oder weniger unverrückbar festgelegte Interessen gibt, ein Gesichtspunkt,
der, das sei nur am Rande erwähnt, nicht weit weg war von den grundlegenden
theoretischen Ideen eines gewissen Karl Marx, dessen Name damals dann bald in, für
mich jedenfalls, auch erstaunlichen anderen Zusammenhängen genannt wurde.
Kurz: Durch, ich sehe das jedenfalls heute so, einige schon recht unwahr-
scheinliche Umstände entstand schon bald die Vorstellung, dass alle die verhandelten
Richtungen etwas Wichtiges zu sagen haben. Und dass es möglich sein müsse, die
jeweiligen Gesichtspunkte zu verbinden, um die zu beobachtenden Einseitigkeiten
zu vermeiden, darunter besonders die der neoklassischen Ökonomen einerseits und
die der zahllosen soziologischen Gesellschaftsphilosophen andererseits. Das allerdings
dann im Rahmen einer Theorie, letztlich natürlich nur denkbar nach der methodo-
logischen Leitidee einer „physique social“. Also: Interessen, Institutionen und Ideen,
kausale Prozesse ebenso wie intentionale Reflexionen, kalkulierende Rationalität
ebenso wie unbedachte Traditionalität oder automatisch ausgelöste Emotionen,
Erklären ebenso wie Verstehen u.a. müssten mit dieser übergreifenden Methodolo-
gie vereinbar sein. Ferner: Dass es kaum einen Sinn machen könne, zwischen idio-
graphischen und nomothetischen Methoden, zwischen qualitativen und quantitati-
ven Verfahren oder zwischen soziologischen und historischen Analysen grundsätzli-
che Unterschiede sehen zu müssen; dass es möglich sein könne und müsse, auf
Wertungen bei der Beurteilung von wissenschaftlichen Aussagen zu verzichten, ohne
gleichwohl zu den sozialen Problemen indifferent bleiben zu müssen; dass es soziale
Eigengesetzlichkeiten geben könne, ohne diese im Walten übergreifender Gesell-
schafts- oder Geschichtsgesetze verankern zu müssen; und dass es insbesondere kei-