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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0292
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304 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Das germanistische Forschungsprojekt von Matthias Schöning beschäftigt sich
nut der für unsere Frage einschlägigen Thematik der literarischen Verarbeitung von
Vergangenheit als vergangener Erfahrung und analysiert dabei die Spannung zwi-
schen individueller Erfahrung und kollektiver Adressierung im Rahmen kommuni-
kativer Konstruktion von Vergangenheit. Die Studie widmet sich Literatur und Krieg
in Deutschland 1914-34. Im Zentrum steht das umfangreiche Textkorpus der Kriegs-
prosa, das bislang weder von den Geschichtswissenschaften noch von der Germani-
stik ausreichend untersucht wurde. Der Hauptteil der Forschungen gliedert sich in
zwei Teile. Der erste Teil untersucht das dargestellte Kriegsgeschehen mit Blick auf
Topoi und dominante Muster, die zu einer übergreifenden These verdichtet werden.
Der zweite Teil untersucht die kommunikativen Strategien, mit denen die Texte
einer impliziten Leserschaft offeriert werden. Der Zusammenhang zwischen beiden
Teilen stellt sich wie folgt her: Anders als die Forschung nahe legt, wird die literari-
sche Kriegsdarstellung keineswegs von der Gewalterfahrung unter Bedingungen
industrialisierter Kriegsführung bestimmt; ihr unterliegt jedoch eine frappierende
Aufmerksamkeit für die Sozialdimensionen des Kriegs. Interessant ist vor allem, daß
die Texte unter diesem Gesichtspunkt keiner politischen Ordnung folgen. Der zwei-
te Teil schließt an diese Beobachtung an und fokussiert die literarischen Strategien,
diese Erfahrung abermals zu vergememschaften. Hierbei fällt nun auf, daß Imke wie
rechte, pazifistische wie soldatische Autoren sich eng verwandter Argumentations-
muster bedienen, um ihre jeweiligen Schlußfolgerungen zu verallgemeinern und
gegenläufig zur individualisierenden Kriegserfahrung in kollektiv bindende Lehre
umzumünzen.
Stefan Seidendorf untersucht in seiner Dissertation die Europäisierung nationaler
Identitätsdiskurse. In einer vergleichenden Analyse französischer und deutscher Zei-
tungsartikel untersucht er folgendes Spannungsverhältnis: Die europäische Integra-
tion setzt traditionelle, „national“ konstruierte Identitätsdiskurse mehr und mehr
unter Druck. Gleichzeitig bildet sich gegenwärtig ein diskursives Selbstverständnis
der neuen, europäischen polity. Dieses scheint wiederum nur tragfähig, wenn es nicht
im Widerspruch zu arrivierten und akzeptierten nationalen Identitätsdiskursen steht.
Was sind Hindernisse, was besonders leicht zu transformierende Teile des jeweiligen
Selbstverständnisses, wie (mit welchen rhetorischen und diskursiven Mitteln) findet
Evolution statt? „Identitätsdiskurse“ werden dabei in drei Fallstudien sowohl syn-
chron, als auch diachron verglichen. Damit werden einerseits national bedingte
Unterschiede ausgemacht (Deutschland — Frankreich), andererseits der Einfluß des
europäischen Integrationsprozesses selbst analysiert (Vergleich fünfziger und neunzi-
ger Jahre). Um Zustimmung zu den Vorschlägen politischen Handelns zu erlangen,
wird einerseits an die Erinnerungsgemeinschaft appelliert („Das haben wir immer so
gemacht“ — „Das darf nie wieder sein“), andererseits wird auf „neue Herausforde-
rungen“ verwiesen („Europa fordert“, „Die Globalisierung zwingt uns“...). Aus der
Spannung des gemeinsamen Aushandelns von Politik zwischen Erfordernissen
zukünftiger Politikgestaltung und Verweis auf Lehren aus der Vergangenheit ergibt
sich die Erfahrungsgemeinschaft. Die Konstruktion von Vergangenheit wird hier also
vor allem als Legitimierung aktueller Politikgestaltung verstanden. Wie wandelbar
 
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