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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
DOI Kapitel:
2. Forschungsschwerpunt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0295
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Das WIN-Kolleg | 307

Welterschließung
im Spannungsfeld von symbolischer und universalisierter Rationalität
Sprecher: Stefan Seit.
Kollegialen: Stefan Seit1, Nadja Germann1, Pavlina Rychterova2, Raphaela Veit1.
1 Universität Tübingen
2 Universität Konstanz
Kontakt: http://www.uni-tuebmgen.de/welterschliessung/
Projektbeschreibung
‘Kultur’ heißt die vom Menschen auf der Basis der naturalen Gegebenheiten gestal-
tete und in einer solchen Weise auf den Menschen hin geordnete Wirklichkeit, daß
dessen Position nicht mehr nur kontingent ist. Für die kulturelle Entschärfung der
Kontingenzerfahrung kommt der erkennenden Rekonstruktion der Welt deshalb
erhebliche Bedeutung zu. Angesichts dieser Zusammenhänge steht im Mittelpunkt
unseres Forschungsprojektes die Frage nach dem Spezifikum der europäischen Kul-
tur unter einer rationalitätsgeschichthchen Perspektive. Ausgangspunkt der Unter-
suchung ist die Annahme, daß die europäische Kultur die Position des Menschen in
der Welt vermittels einer für sie charakteristischen Diskursivität bestimmt. Diese
zeichnet sich unserer Auffassung nach durch das Zusammenwirken zweier zunächst
grundsätzlich unterschiedlicher Zugriffsweisen auf die Wirklichkeit aus. Einerseits
wird die europäische Rationalität dadurch geprägt, daß sie der erkennenden Seele
des Menschen (mens) die Aufgabe zuweist, sich im Symbol die Welt als Ganze zu
erschließen (‘symbolische Rationalität’). Andererseits wird an die menschliche Ver-
nunft (ratio) die Anforderung möglichst präziser begrifflicher ‘Erkenntnis aus Grün-
den’ gestellt (‘universalisierte Rationalität’). Das spezifisch Europäische besteht der
zugrunde gelegten These zufolge darin, wie die beiden Zugriffsweisen in ihrem Ver-
hältnis zueinander austariert werden und dabei dauernd aufeinander bezogen blei-
ben. Dieses Austarieren konstituiert einen historischen Prozeß, durch den es seiner-
seits modifiziert wird.
Der gängigen Forschungsmeinung ist darin durchaus zuzustimmen, daß sich
im Rahmen der europäischen Rationalitätsgeschichte em Universalisierungsgesche-
hen beobachten läßt, das sich in den schriftlichen Zeugnissen in Gestalt einer zuneh-
menden Formalisierung und Systematisierung niederschlägt und seinen institutio-
nellen Ort zuerst in den (hoch-) mittelalterlichen Universitäten mit ihrem schola-
stisch geprägten Wissenschaftsbetrieb findet. Am historischen Prozeß der Ausdiffe-
renzierung und Verwissenschaftlichung als solchem besteht kein Zweifel; doch liegt
nach unserem Dafürhalten das Spezifikum der europäischen Kultur nicht in einem
eindimensionalen Umversalisierungsgeschehen. Dieses findet sich vielmehr einge-
stellt in den umfassenden Horizont des symbolisch vergegenwärtigten Weltganzen.
Grundlegend für die kulturelle Identität Europas ist deshalb bis heute, wie das Ver-
hältnis symbolischer und universalisierter Rationalität zueinander bestimmt und wie
 
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