4. Juli 2009
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FESTVORTRAG VON HUBERT MARKL:
„AKADEMISCHE WISSENSCHAFT UND WIRTSCHAFTLICHER ERFOLG:
FORSCHUNG IM ZANGENGRIFF VIELFÄLTIGER INTERESSEN"
Wenn ein Mensch das 100. Lebensjahr bei vollen Geisteskräften erreicht hat, so ist
dies erstens selten, und zweitens sicher würdiger Anlass, ihn zu beglückwünschen.
Wissen wir doch, dass sich sein Lebensweg dem Ende zuneigt, dass er ihn hoffent-
lich zumeist mit guten Taten erfüllt hat, dass von ihm nur in Ausnahmefällen noch
Bedeutendes erwartet werden kann, dass wir wohl bald an seinen Nachruf denken
müssen. So ist der Mensch — biologisch — nun einmal beschaffen: In die verständ-
liche Trauer über den baldigen Abschied von ihm, mischt sich die fügsame Einsicht
in die Unvermeidbarkeit des bevorstehenden Endes.
Wie anders dort, wo Kultur wirkt, wo menschlicher Geist Institutionen
begründete, die einen ähnlichen Anlass erfahren. Selbstverständlich beeilen wir uns,
auch ihnen zu gratulieren, — und so tue ich dies besonders gerne als ein selbst schon
altes Mitglied dieser Akademie der Wissenschaften. Aber kein Gedanke daran, dass
sich hier unausweichlich vollenden müsse, was vor 100 Jahren begonnen hat. Im
Gegenteil, wir erhoffen, dass gerade eine Einrichtung der und für die Wissenschaft
in einem Jahrhundert erst so richtig in Schwung gekommen ist, in Auseinanderset-
zungen gestärkt, von Erfahrungen bereichert, in ihrer Identität durch Tradition
geformt, vor allem von Mitgliedern belebt, die in ihr wirken und die die Ideale ihrer
Gründung auf neue, zeitgerechte Weise verwirklichen.
Heute, da die Universitäten — auch die ebenso ehrwürdige wie exzellente Hei-
delberger Universität — nicht nur im Exzellenzanspruch glänzen, sondern auch unter
der Last des Andrangs an Studierenden und gleichzeitig auch noch der Anforderun-
gen von Bologna zur Reform aller Studiengänge ächzen, die überlasteten Staats-
finanzen angstvoll wissend betrachtend, (die in einem Wahrjahr noch rhetorisch
bemäntelt werden, nur um dann nachher umso schlimmer zutage zu treten, denn für
die lockersitzenden Spendierhosen der Politiker zahlt ja später doch die pauper et
misera plebs), kommt einer Akademie der Wissenschaften eine besondere Bedeutung
zu, manchmal notwendiger Hilfestellung, viel öfter aber als ein Hort der Wissenschaft
in krisengeplagten Zeiten. Dabei kommt es heute vor allem darauf an, bei aller
Bedeutung wirtschaftlichen Erfolges für unser aller Wohlergehen sehr genau ins
Auge zu fassen, wofür eine Akademie vor allem anderen da ist, worin sie sich gerade
im 2. Jahrhundert ihrer Existenz auszuzeichnen hat, warum sie manchen Strömun-
gen der Zeit zwar zielstrebig vorangehen sollte, während sie anderen aber gerade des-
halb widersprechen sollte. Weil ihr die „Forderungen der Zeit“ gerade von denen so
dringend eingeredet werden sollen, die sich davon doch zumeist vor allem den eige-
nen Vorteil versprechen. Da ist es nicht leicht, die Balance zwischen der notwendi-
gen Dienstbarkeit gegenüber der Gesellschaft, die sie doch nährt und trägt, und den
Notwendigkeiten der Pflege der Wissenschaft zu finden, die einer Akademie zu aller-
erst obliegt.
Der Griff der privaten Interessen nach den reichlich vermuteten Wissens-
quellen gleicht dann mitunter dem Zangengriff eines Geburtshelfers, der der neuen
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FESTVORTRAG VON HUBERT MARKL:
„AKADEMISCHE WISSENSCHAFT UND WIRTSCHAFTLICHER ERFOLG:
FORSCHUNG IM ZANGENGRIFF VIELFÄLTIGER INTERESSEN"
Wenn ein Mensch das 100. Lebensjahr bei vollen Geisteskräften erreicht hat, so ist
dies erstens selten, und zweitens sicher würdiger Anlass, ihn zu beglückwünschen.
Wissen wir doch, dass sich sein Lebensweg dem Ende zuneigt, dass er ihn hoffent-
lich zumeist mit guten Taten erfüllt hat, dass von ihm nur in Ausnahmefällen noch
Bedeutendes erwartet werden kann, dass wir wohl bald an seinen Nachruf denken
müssen. So ist der Mensch — biologisch — nun einmal beschaffen: In die verständ-
liche Trauer über den baldigen Abschied von ihm, mischt sich die fügsame Einsicht
in die Unvermeidbarkeit des bevorstehenden Endes.
Wie anders dort, wo Kultur wirkt, wo menschlicher Geist Institutionen
begründete, die einen ähnlichen Anlass erfahren. Selbstverständlich beeilen wir uns,
auch ihnen zu gratulieren, — und so tue ich dies besonders gerne als ein selbst schon
altes Mitglied dieser Akademie der Wissenschaften. Aber kein Gedanke daran, dass
sich hier unausweichlich vollenden müsse, was vor 100 Jahren begonnen hat. Im
Gegenteil, wir erhoffen, dass gerade eine Einrichtung der und für die Wissenschaft
in einem Jahrhundert erst so richtig in Schwung gekommen ist, in Auseinanderset-
zungen gestärkt, von Erfahrungen bereichert, in ihrer Identität durch Tradition
geformt, vor allem von Mitgliedern belebt, die in ihr wirken und die die Ideale ihrer
Gründung auf neue, zeitgerechte Weise verwirklichen.
Heute, da die Universitäten — auch die ebenso ehrwürdige wie exzellente Hei-
delberger Universität — nicht nur im Exzellenzanspruch glänzen, sondern auch unter
der Last des Andrangs an Studierenden und gleichzeitig auch noch der Anforderun-
gen von Bologna zur Reform aller Studiengänge ächzen, die überlasteten Staats-
finanzen angstvoll wissend betrachtend, (die in einem Wahrjahr noch rhetorisch
bemäntelt werden, nur um dann nachher umso schlimmer zutage zu treten, denn für
die lockersitzenden Spendierhosen der Politiker zahlt ja später doch die pauper et
misera plebs), kommt einer Akademie der Wissenschaften eine besondere Bedeutung
zu, manchmal notwendiger Hilfestellung, viel öfter aber als ein Hort der Wissenschaft
in krisengeplagten Zeiten. Dabei kommt es heute vor allem darauf an, bei aller
Bedeutung wirtschaftlichen Erfolges für unser aller Wohlergehen sehr genau ins
Auge zu fassen, wofür eine Akademie vor allem anderen da ist, worin sie sich gerade
im 2. Jahrhundert ihrer Existenz auszuzeichnen hat, warum sie manchen Strömun-
gen der Zeit zwar zielstrebig vorangehen sollte, während sie anderen aber gerade des-
halb widersprechen sollte. Weil ihr die „Forderungen der Zeit“ gerade von denen so
dringend eingeredet werden sollen, die sich davon doch zumeist vor allem den eige-
nen Vorteil versprechen. Da ist es nicht leicht, die Balance zwischen der notwendi-
gen Dienstbarkeit gegenüber der Gesellschaft, die sie doch nährt und trägt, und den
Notwendigkeiten der Pflege der Wissenschaft zu finden, die einer Akademie zu aller-
erst obliegt.
Der Griff der privaten Interessen nach den reichlich vermuteten Wissens-
quellen gleicht dann mitunter dem Zangengriff eines Geburtshelfers, der der neuen