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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 23. Januar 2009
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Maissen, Thomas: Wie die Jungfrau zum Staat kam: Staatspersonifikationen in der Frühen Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0075
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23. Januar 2009

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WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR THOMAS MAISSEN HÄLT EINEN VORTRAG:
„Wie die Jungfrau zum Staat kam. Staatspersonifikationen in der Frühen Neuzeit“.
Marianne ist bekannt als Ikone der französischen Revolution und der Republik, und
sie hat viele Nachahmerinnen gefunden in Europa und in der Welt des 19. und 20.
Jahrhunderts. Wie steht es aber um Germania, Francia, Britannia oder Hollandia in
den Jahrhunderten vor der Französischen Revolution? Solche geographische Perso-
nifikationen gibt es bereits in der Antike und im Mittelalter. Der Vortrag zeigte aber,
dass in der Frühen Neuzeit ein entscheidender Wandel stattfindet, der sich in Bildern
und Texten niederschlägt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Jean Bodins 1576
formulierte Lehre von der absoluten und zeitlich uneingeschränkten Souveränität,
die es dem Herrscher erlaubt, eigenmächtig neue Gesetze zu erlassen und bestehen-
de Rechte aufzuheben. Wie kann ein solches durchaus gewaltsames Gewaltmonopol
in einer noch stark feudalen Welt legitimiert werden, in der altes Recht grundsätz-
lich als gutes Recht gilt? Oder anders gefragt: Wie kann der moderne, souveräne
Staat, der für uns (noch) eine Selbstverständlichkeit ist, symbolisch überzeugend ver-
mittelt werden?
Eine Antwort, die der Referent illustrierte, ist der Rekurs auf eine vertraute,
insbesondere christliche Ikonographie, die in einen säkularen Kontext transformiert
wird und so Unvertrautes (das moderne Staatsrecht) in bekannten Bildern näher-
bringt. Die (marianische) Jungfräulichkeit stand dabei im Zentrum seiner Aus-
führungen, eine Jungfräulichkeit, wie sie auch von einer Herrscherin systematisch
eingesetzt wird, nämlich der Virgin Queen Elisabeth I. mit Attributen der Jungfräu-
lichkeit, wie etwa Perlenketten, Rosen oder dem Hermelinpelz. Nicht sie, sondern
Britannia wird 1612 dargestellt als Frau, um deren Hand vier Männer (erfolgreich)
angehalten haben, die mythischen Eroberer Brutus, Caesar, der Sachse Hengist sowie
William the Conqueror. Diese erotische Metaphorik von Eroberung und Hingabe
oder Widerstand ist verbreitet, um den unabhängigen, also gegen außen souveränen
Staat zu charakterisieren, der seine Keuschheit - die territoriale Integrität - bewahrt.
Besonders zahlreich sind niederländische Beispiele aus der Zeit des Unabhängig-
keitskriegs gegen Spanien, das regelmäßig und mit manchmal sehr expliziter Meta-
phorik als aggressiver Werber oder Vergewaltiger dargestellt wird. Besonders illustra-
tiv ist hierbei die Übernahme des mittelalterlichen Motivs des „hortus conclusus“,
das seinerseits auf biblische Vorstellungen der mystischen Ehe im Hohelied zurück-
geht. Marias Jungfräulichkeit wird dargestellt durch eine paradiesischen Garten, des-
sen Zaun von Christus - zugleich ihr mystischer Gatte und derjenige der Ecclesia —
respektiert wird. Ganz anders verhalten sich die Spanier, die ihn zu durchbrechen
drohen, doch weiß sich Hollandia, geschützt durch den niederländischen Löwen und
den Statthalter aus dem Haus Oranien, ebenso, wie Venetia durch den Dogen, zu
wehren. Das sind republikanische Varianten für die mystische Ehe zwischen dem
Fürsten und seinem personifizierten Land. Noch weiter geht Helvetia, da es in der
Eidgenossenschaft kein Pendant zum Statthalter, Dogen oder gar König gibt: Sie ver-
teidigt in „alter Keüschheits-Tracht“ selbständig ihre „FreyheitsKron“ und tritt
 
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