24. Januar 2009
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unterschiedenen Fleisch verbunden ist, so müssen primitive Entweder-Oder-Vor-
stellungen von „Fleisch und Geist“ aufgegeben werden. Das Fleisch gehört unab-
dingbar zur historisch-materiellen Basis der leiblichen Existenz und damit auch zu
der nach Paulus höherstufigen irdischen menschlichen Existenzform in Gestalt von
Herz, Seele und Geist.
Allerdings wird die Größe „Fleisch“ als grundsätzlich endliche und vergängli-
che Basis menschlicher Existenz gefährlich, wenn sie alles „Trachten und Begehren“
steuert. Paulus spielt in seinen harten Aussagen über „das Fleisch“ immer wieder auf
die fleischlich-leiblichen Grundfunktionen der Ernährung und der Reproduktion
an. Dominiert das Interesse daran die menschliche Existenz, ohne diese Funktionen
in den Dienst des Geistes zu stellen, so verfällt die menschliche Existenz „der Sünde
und dem Tod“. Paulus geizt bekanntlich nicht mit Seitenhieben gegen dieVöllerei,
die Trunksucht und die Diversifizierung von Sexualkontakten (vgl. Gal 5,19ff; 1 Kor
5,1; 6,9f.l3ff; 10,8; 11,20; 2 Kor 12,21; Röm l,26f; 13,13). Oberflächlich betrachtet,
könnte man dies einer „Leib- und Lustfeindlichkeit“ des Paulus, einer Neigung zu
Misanthropie und Homophobie zurechnen. Tatsächlich aber erwächst diese harte
Kritik an sich verselbständigenden Interessen „des Fleisches“ aus der Sorge, die für
Gott und sein Evangelium, für Erhebung und Freiheit gewonnenen Mitmenschen
könnten sich wieder von Mächten beherrschen lassen, die sie an die Vergeblichkeit
und Vergänglichkeit menschlichen Lebens ausliefern und die Aussicht auf die Vorha-
ben Gottes mit ihnen und die Perspektiven des Geistes versperren.
Eine abstrakte und totalisierende Verneinung des Fleisches wird also der
Anthropologie des Paulus nicht gerecht. Ebenso geht eine vage Begeisterung für
„den Geist“ an seinem Denken vorbei. Vage metaphysische und religiöse Vorstellun-
gen, wie die von einem „reinen Geist“ und einer „unmittelbaren menschlichen
Gottesbeziehung im Geist“ halten seinem scharf beobachtenden und differenzieren-
den Denken nicht stand. Dies kann man sich anhand seiner Auseinandersetzung mit
dem Zungenreden in Korinth deutlich machen: „Denn wer in Zungen redet, redet
nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheim-
nisvolle Dinge. Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermu-
tigt, spendet Trost.“ (1 Kor 14,2f) Paulus ist ersichtlich wenig begeistert von der
Zungenrede, der er immerhin zugesteht, direkt „im Geist“ zu reden, und zwar
durchaus „zu Gott“. Auch hier hegt keine einmalige Entgleisung vor, die begeister-
te Mystiker und Anhänger Schleiermachers und Kierkegaards gelassen abtun könn-
ten. Nicht nur die öffentliche Rede „in Zungen“ wird von Paulus in Frage gestellt.
Auch Gebet und Doxologie „in Zungen“, angestrebt und hergestellt im menschli-
chen „Geist“ als Direktkontakte zu Gott, unterliegen seiner Kritik: „Denn wenn ich
nur in Zungen bete, betet zwar mein Geist, aber mein Verstand (nous) bleibt
unfruchtbar. Was folgt daraus? Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit
dem Verstand. Ich will nicht nur im Geist Gott preisen, sondern auch mit dem Ver-
stand“ (1 Kor 14,14f).
Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. So wie Pau-
lus nicht „das Fleisch“ en bloc verdammt, so kritisiert er auch nicht vernichtend
glossolalische oder andere spirituelle Versuche einer direkten Kontaktaufnahme mit
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unterschiedenen Fleisch verbunden ist, so müssen primitive Entweder-Oder-Vor-
stellungen von „Fleisch und Geist“ aufgegeben werden. Das Fleisch gehört unab-
dingbar zur historisch-materiellen Basis der leiblichen Existenz und damit auch zu
der nach Paulus höherstufigen irdischen menschlichen Existenzform in Gestalt von
Herz, Seele und Geist.
Allerdings wird die Größe „Fleisch“ als grundsätzlich endliche und vergängli-
che Basis menschlicher Existenz gefährlich, wenn sie alles „Trachten und Begehren“
steuert. Paulus spielt in seinen harten Aussagen über „das Fleisch“ immer wieder auf
die fleischlich-leiblichen Grundfunktionen der Ernährung und der Reproduktion
an. Dominiert das Interesse daran die menschliche Existenz, ohne diese Funktionen
in den Dienst des Geistes zu stellen, so verfällt die menschliche Existenz „der Sünde
und dem Tod“. Paulus geizt bekanntlich nicht mit Seitenhieben gegen dieVöllerei,
die Trunksucht und die Diversifizierung von Sexualkontakten (vgl. Gal 5,19ff; 1 Kor
5,1; 6,9f.l3ff; 10,8; 11,20; 2 Kor 12,21; Röm l,26f; 13,13). Oberflächlich betrachtet,
könnte man dies einer „Leib- und Lustfeindlichkeit“ des Paulus, einer Neigung zu
Misanthropie und Homophobie zurechnen. Tatsächlich aber erwächst diese harte
Kritik an sich verselbständigenden Interessen „des Fleisches“ aus der Sorge, die für
Gott und sein Evangelium, für Erhebung und Freiheit gewonnenen Mitmenschen
könnten sich wieder von Mächten beherrschen lassen, die sie an die Vergeblichkeit
und Vergänglichkeit menschlichen Lebens ausliefern und die Aussicht auf die Vorha-
ben Gottes mit ihnen und die Perspektiven des Geistes versperren.
Eine abstrakte und totalisierende Verneinung des Fleisches wird also der
Anthropologie des Paulus nicht gerecht. Ebenso geht eine vage Begeisterung für
„den Geist“ an seinem Denken vorbei. Vage metaphysische und religiöse Vorstellun-
gen, wie die von einem „reinen Geist“ und einer „unmittelbaren menschlichen
Gottesbeziehung im Geist“ halten seinem scharf beobachtenden und differenzieren-
den Denken nicht stand. Dies kann man sich anhand seiner Auseinandersetzung mit
dem Zungenreden in Korinth deutlich machen: „Denn wer in Zungen redet, redet
nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn: Im Geist redet er geheim-
nisvolle Dinge. Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermu-
tigt, spendet Trost.“ (1 Kor 14,2f) Paulus ist ersichtlich wenig begeistert von der
Zungenrede, der er immerhin zugesteht, direkt „im Geist“ zu reden, und zwar
durchaus „zu Gott“. Auch hier hegt keine einmalige Entgleisung vor, die begeister-
te Mystiker und Anhänger Schleiermachers und Kierkegaards gelassen abtun könn-
ten. Nicht nur die öffentliche Rede „in Zungen“ wird von Paulus in Frage gestellt.
Auch Gebet und Doxologie „in Zungen“, angestrebt und hergestellt im menschli-
chen „Geist“ als Direktkontakte zu Gott, unterliegen seiner Kritik: „Denn wenn ich
nur in Zungen bete, betet zwar mein Geist, aber mein Verstand (nous) bleibt
unfruchtbar. Was folgt daraus? Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit
dem Verstand. Ich will nicht nur im Geist Gott preisen, sondern auch mit dem Ver-
stand“ (1 Kor 14,14f).
Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. So wie Pau-
lus nicht „das Fleisch“ en bloc verdammt, so kritisiert er auch nicht vernichtend
glossolalische oder andere spirituelle Versuche einer direkten Kontaktaufnahme mit