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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 24. Januar 2009
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Welker, Michael: Die Anthropologie des Paulus als interdisziplinäre Kontakttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0088
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104 | SITZUNGEN

ist mein Leib, der für euch gegeben wird“). Das Brot wird aber nicht als zum Ver-
zehr und zum Vergehen bestimmtes „Fleisch Christi“ bezeichnet. Das „gebrochene
und geteilte Brot“ symbolisiert also nicht nur das Nahrungsmittel, sondern auch die
friedevolle und ausstrahlungsstarke Tischgemeinschaft („solches tut zu meinem
Gedächtnis“). Es nährt Zeichenhaft und verbindet Zeichenhaft durch die teilende
Teilhabe die Glieder der Kirche aller Zeiten und Weltgegenden und wird so mit dem
„Leib“ Jesu Christi identifiziert. Nicht nur „im Geist“, sondern auch sinnfällig und
„im Leib“ geht der auferstandene Christus — durch die Schöpfungsgaben Brot und
Wein vermittelt — in seine Glieder ein, die zu Trägerinnen und Trägern seiner nachö-
sterlichen Existenz erbaut werden.7 Ein nicht leicht zu erfassendes Zusammenspiel
von Geist und Leib in individueller Autonomie und gottesgeschichtlicher Koopera-
tion der Glieder des Leibes liegt hier vor. Dieses Zusammenspiel weist dienend über
den Selbsterhalt des Organismus hinaus und wird so zu einem Hoffnungszeichen für
die eschatologische Bestimmung der leiblichen Existenz der Glaubenden.
Das wunderbare, belebende Zusammenwirken des Geistes mit dem vielglie-
drigen Leib ist ein Anzeichen dafür, dass der Leib in seiner Fleischlichkeit nicht auf-
geht und mit seiner fleischlichen Hinfälligkeit und Endlichkeit nicht identifiziert
werden muss.Vor allem aber verweist diese Erbauung der auch natürlich-organischen
Gemeinschaft des „Leibes Christi“ auf die Macht des Geistes, eine neue Wirklich-
keit zu schaffen, die der vom Geist geprägte leibhaftige Existenz eine Hoffnung auf
ein Leben über ihre „fleischliche“ Endlichkeit hinaus weckt.8 Paulus fasst dies im
Philipperbrief in die Hoffnung, dass Christus „unseren armseligen Leib verwandeln
wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles
unterwerfen kann.“ (Phil 3,21) In anderen Schreiben sieht er diese neuschöpferische
Kraft vom Schöpfer, vor allem aber vom Geist Gottes ausgehen (vgl. Röm 5, 5ff;
8,21ff; 1 Kor 15,34ff; 2 Kor 3,18). Lässt Paulus sich in diesen Überlegungen von reli-
giösen Wunschvorstellungen und Phantasien tragen? Ich denke, dass ihn Beobach-
tungen zur inneren Verfassung des menschlichen Geistes und anderer „mentaler“
Kräfte in seinen theologischen und eschatologischen Ausblicken bestärken.
III. Geist und Seele als säkulare Größen
In vielen religiösen und nicht-religiösen Kontexten wird „Geist“ assoziiert mit men-
talen und kognitiven Begabungen und Aktivitäten. Die zugleich trivialen und höchst
erstaunlichen Fähigkeiten, Gegenstände, Personen und Ereignisse zu erinnern und
zu imaginieren und sie trotz raumzeitlicher Distanzen miteinander zu verbinden,
werden dem menschlichen Geist zugeschrieben. Sowohl in theologischer als auch in
anthropologischer Wahrnehmung ermöglicht der Geist Kopräsenz und Kontakt mit

7 Vgl. M. Welker, Was geht vor beim Abendmahl?, Gütersloher Verlag: Gütersloh 3. Aufl. 2006, 90ff.
8 Dazu J. Polkinghorne u. M. Welker (Hg.),The End of the World and the Ends of God: Science
andTheology on Eschatology, Trinity Press: Harrisburg 2000; H.-J. Eckstein u. M. Welker (Hg.),
Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchener Verlag: Neukirchen, 3. Aufl. 2007, bes. 31 Iff.
 
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