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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Koch, Anton Friedrich: Die Macht der Antinomie und die normativen Grundlagen der Polis
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0110
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126 | SITZUNGEN

von Feuerbach und Marx bis zu Bloch, Benjamin und Adorno“ trägt. Was der Ent-
sublimierung widersteht, ist zuletzt, bei Adorno und Derrida, ein Messianismus, der
von allem sakralen Gehalt entkleidet ist {Glauben und Wissen, fortan GW, S. 27f.).
Auch hier kann, bei religiöser Musikalität und Einsprengseln des Kontextualismus,
die Versuchung zum propositional entkernten Sakralen und in der Folge zum reli-
giösen Kitsch aufkommen.
Gegen diese vier Positionen will Habermas einen politischen Liberalismus, d.h.
eine „prozeduralistische, durch Kant inspirierte Auffassung“ vertreten, die „auf einer
autonomen, ihrem Anspruch nach für alle Bürger rational akzeptablen Begründung
der Verfassungsgrundsätze“ besteht (DS 21). Das richtet sich implizit auch gegen
Ratzingers Korrelationalitätsthese, die aber, wie gesagt, von ausdrücklicher Kritik
ausgenommen bleibt, weil Habermas „die profane, aber nichtdefaitistische Vernunft“ der
Religion nicht zu nahe treten lassen will (GW 28). Auf alle Fälle ist ihm die Korre-
lationalitätsthese sympathischer als der kontextualistische Vernunftdefätismus, der
rechtspositivistische Dezisionismus und der religiöse Kitsch, den er im Gefolge
rechts- und linkshegelianischer Positionen befürchtet.
Aus der Antinomie- und der Subjektivitätsthese folgte für die Seite der Theo-
rie, daß es keine physikalische Weltformel gibt, weil das Reale eine vollständige und
zugleich widerspruchsfreie Erklärung seiner nicht zuläßt. Eine analoge Position für
die Seite der Praxis vertritt Joseph Ratzinger gegen universalistische Hoffnungen, die
der Liberalismus an die profane, prozedural gefaßte Vernunft knüpfen mag:
Tatsache ist [...], dass unsere säkulare Rationalität [...] nicht jeder Ratio ein-
sichtig ist [...]. Ihre Evidenz ist faktisch an bestimmte kulturelle Kontexte
gebunden, und sie muss anerkennen, dass sie als solche nicht in der ganzen
Menschheit nachvollziehbar [...] sein kann. Mit anderen Worten, die rationale
oder die ethische oder die religiöse Weltformel, auf die alle sich einigen, und
die dann das Ganze tragen könnte, gibt es nicht. Jedenfalls ist sie gegenwärtig
unerreichbar. Deswegen bleibt auch das sogenannte Weltethos eine Abstraktion.
(DS 55)
Allerdings relativiert Ratzinger hier am Ende wieder den prinzipiellen Charakter des
konstatierten Sach Verhaltes, wohl eingedenk dessen, daß Christen stets auch außer-
halb des Lagers stehen, um Jesu Schmach zu tragen; denn sie haben, wie wir lesen
(Hebr. 13, 14), hier keine bleibende Polis, menousan polin, sondern die zukünftige, ten
mellousan, suchen sie. Die rationale, ethische, religiöse Weltformel ist daher zwar
gegenwärtig unerreichbar, wird aber in der zukünftigen Polis, dem himmlischen Jeru-
salem, natürlich erreicht sein.
Aus der Antinomiethese können wir indes ohne Einschränkung die stärkere
These folgern: Die rationale, ethische, religiöse, auch politische Weltformel gibt es
nicht. Sie ist nicht nur gegenwärtig, sondern überhaupt unerreichbar, und nicht nur
unerreichbar, sondern gar nicht erst widerspruchsfrei als Ideal formulierbar. Es kann
sie in konsistenter Formulierung noch viel weniger geben als die physikalische Welt-
formel, deren sukzessive Anwärter wenigstens in mathematischer Sprache formuliert
sind und ihre Vorgänger einbetten. Im Politischen ist die Subjektivitätsthese noch
 
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