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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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IV. Veranstaltungen im Jubiläumsjahr
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Bolus, Michael: Die Neandertaler - Leben und Ausbreitung einer erfolgreichen Menschenform
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0386
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402

VERANSTALTUNGEN

MITARBEITER VORTRAG
„Die Neandertaler -
Leben und Ausbreitung einer erfolgreichen Menschenform.“
20. Oktober 2009
Seit ihrer Entdeckung im Jahre 1856 im Namen gebenden Neandertal bei Düssel-
dorf üben die Neandertaler eine besondere Faszination auf uns heutige Menschen
aus. Es ist eine Menschenform, die sehr viel mit uns gemein hat, die uns andererseits
aber auch so weit entfernt scheint. Lange wurden die Neandertaler nicht nur in
der Öffentlichkeit, sondern auch in Teilen der Fachwelt als geistig und kulturell min-
derbemittelt, weit hinter den modernen Menschen zurückstehend, gesehen, eine
Meinung, die sich nicht zuletzt in zahlreichen Rekonstruktionen niederschlug, wel-
che Neandertaler als grobe, geradezu Furcht einflößende Kreaturen darstellen. Heute
wissen wir, dass dieses Bild völlig falsch ist. Die Neandertaler stellten über einen
Zeitraum von mehr als 200.000 Jahren ein menschliches Erfolgsmodell dar. Sie
meisterten ganz unterschiedliche Klima- und Umweltbedingungen, und es gelang
ihnen, sich immerhin bis in das russische Altai-Gebiet hinein auszubreiten.
Ohne entsprechenden kulturellen Hintergrund hätten die Neandertaler weder
über einen so langen Zeitraum existieren, noch ihr ursprünglich rein europäisches
Siedlungsareal so weit ausdehnen können. Wir wissen inzwischen, dass sie über
erstaunliche Fertigkeiten verfugten. Ihr Werkzeugkasten war mit zahlreichen effekti-
ven Geräten für alle denkbaren Tätigkeiten gefüllt, die meist aus Stein, gelegentlich
aber auch aus Knochen, Geweih und Holz hergestellt waren. Sie waren erfolgreiche
Jäger, die sich vor allem von dem Fleisch großer Säugetiere ernährten. Darüber hin-
aus gewinnen wir immer wieder auch Einblicke in ihre geistige Welt: Neandertaler
pflegten verletzte und behinderte Mitmenschen, die aus eigener Kraft nicht mehr
lebensfähig gewesen wären, und sie bestatteten ihre Toten. Ein gewisses ästhetisches
Empfinden muss ihnen ebenfalls zugesprochen werden, und gelegentlich, wenn auch
selten und vor allem in der Spätphase der Neandertaler, finden wir Schmuckgegen-
stände.
Eines der bemerkenswertesten Phänomene im Zusammenhang mit den Nean-
dertalern ist aber zweifellos die gewaltige Ausweitung ihres Verbreitungsgebietes.
Zunächst erfolgte die Entwicklung der Neandertaler, wohl auf der Grundlage später
Formen von Homo heidelbergensis, ausschließlich in Europa. Ihr Kerngebiet umfasste
anfangs eher südlichere Breiten, wie die außerordentlich zahlreichen Funde von
Neandertalerresten auf der Iberischen Halbinsel, in Südwest- und Südfrankreich, in
Italien und am Schwarzen Meer belegen. Immer wieder eroberten sie aber auch
nördlichere Breiten bis nach Großbritannien hinein und‘lernten’, auch mit weniger
günstigen Klima- und Umweltbedingungen auszukommen. Vor 80-90.000 Jahren
finden wir Neandertaler erstmals außerhalb ihres Heimatkontinents, und zwar im
östlichen Mittelmeerraum. Hier, in Israel und Syrien und bis in den Iran hinein,
befindet sich eine regelrechte Fundprovinz, die zahlreiche Bestattungen von Nean-
 
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