Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0090
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
86 I Jörg Sonntag

,Irgendwie< schon. Strahlkraft und Reflexion über eine Wirkung explizit der
Regeln nach außen? Auf den ersten Blick nahezu keine.
4. Intendierte Autorität und Strahlkraft nach außen
Aufgrund dieses Befundes sei im Folgenden zunächst versucht, über die Kate-
gorie der Intentionalität analytisch weiter Boden zu gewinnen. Glaubten die
Religiösen selbst an eine konkrete Wirkmacht und Wirkung ihrer Regeln in die
Welt hinein? Versuchten sie gar, eine solche durch die Aufladung mit Autorität
zu stärken und wenn ja, wie?
Beispielhaft für derartige Überlegungen sei im Folgenden der kaum bekannte
Regelkommentar aus Pontigny, einer der vier großen Primarabteien des Zisterzi-
enserordens, herangezogen. Dieser Text liegt nun erstmals in Edition vor und ist
in vielerlei Hinsicht besonders: Es handelt sich nicht nur um einen der längsten
Regelkommentare überhaupt, sondern zugleich um den wohl einzigen zisterzi-
ensischen Regelkommentar des Mittelalters. Der Text umfasst 94 Predigten, die
wohl um 1210 von einem nicht genannten Autor, möglicherweise von Abt Johan-
nes von Pontigny, verfasst wurden. Auch ihr Inhalt ist einzigartig. Einer Mönchs-
enzyklopädie gleich sind zahlreiche Wissensbestände der Zeit innovativ in ein
großes Heilskonzept eingebunden, indem alles Irdische in himmlische Perspek-
tive gesetzt wird.23 Vor der Folie des augustinischen Gottesstaates - und weit li-
teraler als Hugo de Folieto in seinem Seelenkloster - vermengen diese Predigten
irdische Mönche mit himmlischen Engeln zu einem gemeinsamen Mischkonvent,
an dessen Spitze Gott steht, während die Mönche den zehnten Kreis der Engel
bilden.24 Regelmäßig halte Gott Rat mit den Engeln und seniores. Letztere seien
die Propheten, Apostel und irdischen Abte (nostrorum prelatorurri).25
Auch die Benediktsregel, und darauf kommt es in unserem Sinne an, erfährt
eine himmlische Perspektivierung, mithin eine neuartige Autorisierung: Der
Autor nämlich belässt es nicht bei den zisterziensertypischen Lobeshymnen auf
diese sacra regula und bei der Forderung nach der puritas regulae, wie sie etwa
das Exordium Magnum anstimmt.26 Er geht weiter, und verleiht der Benedikts-
23 Sermones in Regulam s. Benedicti. Ein zisterziensischer Regelkommentar aus Pontigny (Vita
regularis. Editionen 6), hg. v. Jörg Sonntag, Berlin 2016.
24 Siehe z. B. ebd., LXV, S. 689: Decanos vero si dixero novem ordines angelorum hommumque
decimum.
25 Ebd., III, S. 99: [...] sine consiho seniorum agit nichil. Dico autem prophetarum et apostolo-
rum et nostrorum denique prelatorum.
26 Vgl. das Exordium Magnum Cisterciense, I, 4, hg. v. Heinz Piesik, Bd. 1, Langwaden 2000,
S.18-22.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften