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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0248
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244 I Jean-Claude Schmitt

Zisterzienser haben mit diesem System brechen wollen und zogen die Eigenbe-
wirtschaftung vor, die den Laienbrüdern in den Grangien anvertraut wurde; mit
anderen Worten: Anstatt eine Arbeitskraft außerhalb des Klosters auszubeuten,
brachten sie diese Arbeitskraft in das Innere des Klosters. Und die Wirksamkeit
dieser Eigenbewirtschaftung hat ihnen paradoxerweise eine führende Position
im Agrarhandel und in der Währungswirtschaft und damit einen großen mate-
riellen Wohlstand gesichert. Die Franziskaner wiederum lehnten - und dies so-
gar noch radikaler - zumindest in den Anfangszeiten jeden materiellen Besitz
ab, bis hin zu dem der für das Studium notwendigen Bücher oder dem ihres ge-
meinsamen Hauses und behaupteten, nur vom Betteln zu leben. Noch waren sie
an diesem Punkt, als Jakob von Vitry sie von den Einsiedlern, Mönchen und
Kanonikern unterschied, die seiner Meinung nach „die anderen drei Seiten des
Quadrats“ bilden, und sie lobte, indem er mit Bewunderung von ihnen sagte:
„Minder, das sind sie wirklich“. Sie sind es aber nicht lange geblieben: Schnell
umgingen sie das Verbot etwaigen materiellen Besitzes mit der Fiktion eines an
die „Freunde“ des Ordens delegierten Eigentums (usus pauper), und es dauerte
nicht lange, bis sie durch Testamente vermachte und an Grundbesitz gebundene
Renten als Almosen annahmen. Das für alle Ordensgemeinschaften eigene Pa-
radoxon hat im Falle der Franziskaner seinen Höhepunkt erreicht, so dass es den
Orden und die ganze Kirche mit beispielloser Gewalt gespalten hat. Aber der
Konflikt um die franziskanischen Spiritualen hat die für das regulierte Leben
typische Spannung zwischen der inneren (intus) Wendung des kontemplativen
Lebens und des Horizonts sozialer Erfahrungen, die vermeintlich Heiligkeit
versprach, und einer unvermeidlichen Abhängigkeit von der äußeren (Joris)
Welt, die Bedingung für die Teilnahme von Mönchen und Ordensleuten an der
Streitenden Kirche war, nur noch einmal offenbart.
Prof. Dr. Dr. h.c. Jean-Claude Schmitt
EHESS
CRH-GAHOM
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