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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0306
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302 I Stefan Weinfurter

Doch damit nicht genug. Der Wettstreit der beiden kirchlich-religiösen Le-
bensordnungen brachte es rasch mit sich, dass man sich gegenseitig zu übertreffen
suchte und insbesondere die Mönche ihren Heilswert auf neue Höhen hoben.
Durch verschärfte Strenge im Fasten, Nachtwachen, Schweigen und Beten, durch
ein hohes Leistungsethos und durch ein umfassendes Regulierungs- und Kont-
rollsystem entstand eine neuartige Vielfalt in der monastisch-reformkanonikalen
Welt. Erst allmählich kristallisierten sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
Organisationen heraus, die sich durchsetzen und unter anderen den Musterorden
der Zisterzienser hervorbrachten. Alle diese Zusammenhänge und Prozesse ma-
chen deutlich, welche Kraft und Dynamik bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts von
dieser Bewegung ausgegangen ist, wie sehr um neue und immer bessere, d. h.,
gottgefälligere Lebensentwürfe gerungen wurde und wie intensiv der Drang nach
Optimierung und Effizienzsteigerung gewesen sein muss. Nur so ist auch zu er-
klären, dass in wenigen Jahrzehnten die westchristliche Welt mit einem dichten
Netz von Klöstern und Reformstiften überzogen wurde.
Gehört die zweite Reformphase des hohen Mittelalters, also die Armutsbewe-
gung um 1200 mit den Franziskanern und Dominikanern an der Spitze, noch zu
dieser frühen Aufbruchsbewegung? Wohl nur mit Einschränkungen. Manche
Gedanken, vor allem das Armuts- und Friedensideal, wurden weitergeführt.
Auch das individuelle Engagement war vergleichbar, und die Vermengung von
monastischer Lebensdisziplin und seelsorgerlichem Sendungsbewusstsein be-
kam einen neuen Impuls. Die Organisationsformen wurden den politischen und
sozialen Verhältnissen in den Städten angepasst und die Wissenschaften erhiel-
ten einen speziellen Rang. Aber der Reformgedanke bestimmte nicht mehr von
sich aus das „rechte Handeln“ im Bewusstsein der Gesellschaft. Er bestimmte,
um es modern zu sagen, nicht mehr die ,political correctness‘. Vor allem wurden
die Entwicklungen der Reformgruppen in hohem Maße von oben, d. h., vom
Papsttum gesteuert. Es war eine von den kirchlichen Autoritäten kanalisierte
Kraft, die in dieser Periode von den Reformern ausging. Wer von der Amts-
kirche nicht angenommen wurde, schied als Ketzersekte aus.
2. Die Wirkmacht der Ordnungen und Kompetenzen
Die Idee der vita communis verlieh dem Modell der Gemeinschaft einen mäch-
tigen Schub. Dieser Vorgang spiegelt sich auf vielen Ebenen. Dass das Gemein-
schaftsmodell in den aufstrebenden Stadtkommunen des späteren 11. und des
12. Jahrhunderts starke Impulse aus dem reformreligiösen Milieu erhielt, ist seit
längerem erkannt worden. Dennoch ist es wichtig, diese Zusammenhänge im-
mer wieder in den Blick zu nehmen. Klöster und Stifte bildeten nicht nur geist-
 
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