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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 1): Divinatorische Texte: I. Terrestrische, teratologische, physiognomische und oneiromantische Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.32126#0016
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Einleitung

Divination in Babylonien und Assyrien

Die Vorstellung, auch aus kleinen bis kleinsten
Abweichungen im Ablauf des alltäglichen Lebens auf den Willen
der Götter zu schließen, gehört zu den hervorstechenden
Merkmalen der Kulturen des Alten Orients. Die Divination 1, der
systematische Gegenentwurf zum Konzept des Zufalls, prägte
sich gerade in Mesopotamien auf so besondere Weise aus, daß
sowohl die klassische Antike als auch das Alte Testament sie als
ein wesentliches Kennzeichen der altorientalischen Kulturen
ansahen. Wie sehr der Alte Orient von der Divination durchdrun-
gen war, belegen zahlreiche Dokumente des täglichen Lebens. So
zeigen Briefe und Abrechnungen, wie häufig Orakelanfragen
durchgeführt und ominöse Beobachtungen berichtet wurden; 2
sowohl die Protokolle über durchgeführte Opferschauen, als auch
die umfangreichen Sammlungen von Ritualen zur Abwendung
des durch die Omina angekündigten Übels und die brieflichen
Berichte von tatsächlich durchgeführten Ritualen zeugen von der
praktischen Anwendung divinatorischer Techniken und der
Beachtung ominöser Begebenheiten. 3 Weiterhin spiegelt die in
der frühen altbabylonischen Zeit einsetzende Verschriftlichung
von ominösen Zusammenhängen, die rasch zu einer eigenen,
stark ausdifferenzierten Überlieferungstradition wird, eine
gelehrte Auseinandersetzung mit den Beobachtungs- und
Deutungsmustern der Divination wider. 4 Kompendien,
Abhandlungen und Serien zu den verschiedenen divinatorischen
Techniken machen einen Großteil der im weitesten Sinne litera-
rischen Texte aus, für die A. Leo Oppenheim den Begriff des

1 Die neueste umfassende Abhandlung über die Divination in Mesopotamien
bietet S.M. Maul, in: RIA 10,45-88. Vgl. außerdem J. Bottero, in: Divination
et Rationalite, 70-196 und F.H. Cryer, Divination.

- Eine Abrechnung über Lieferungen von Opfertieren belegt, daß allein am
Hof von Mari in altbabylonischer Zeit monatlich durchschnittlich 510
Lämmer für die Opferschau gebraucht wurden (J.-M. Durand, ARM 26/1,
37), und ein Brief aus dem Palastarchiv von Mari berichtet davon, wie ein
Lamm mit schweren Mißbildungen zur genaueren Inspektion zum König
geschickt wird (J.-M. Durand, ARM 26/1,497-499, Nr. 241).

3 Die Orakelprotokolle und Omenberichte aus der neuassyrischen Zeit wurden
von I. Starr, SAA 4 und H. Hunger, SAA 8 zusammenfassend publiziert; für
die älteren Orakelprotokolle siehe U. Koch-Westenholz, in: Ls. Walker, 131-
145 mit älterer Literatur sowie S. Richardson, in: Ls. Walker, 229-244. Zu
den Ritualen zur Beseitigung des vom Omen angezeigten Übels siehe aus-
führlich S.M. Maul, Zukunftsbewältigung.

4 Zur durchaus kontrovers diskutierten Frage, ob die altorientalische
Divination als Wissenschaft zu bezeichnen ist, siehe U. Jeyes, JEOL 32
(1991-92) 23-41, L. Rochberg-Halton, JAOS 119 (1999) 559-569 und D.
Brown, CM 18,227-229.

„Traditionsstroms“ 5 geprägt hat. Dabei wurden die ominösen
Beobachtungen und ihre Deutungen von Anfang an in dem für
die altorientalische Divination so typischen Protasis-Apodosis-
Schema „Wenn abc, dann (wird) xyz (sein)“ schriftlich fixiert,
gleichviel ob es sich um Orakeltechniken wie die Opferschau,
Öl-, Rauch- oder Mehl-Divination, oder um Beobachtungen von
Regelabweichungen am Himmel, auf der Erde, bei der Geburt
von Mensch und Tier oder bei Ausdeutungen von Träumen und
von physiognomischen Charakteristika der Menschen handelt.

Die Anfänge der Divination in Mesopotamien dürften bis in
die vorschriftliche Zeit zurückreichen, denn bereits in den frühe-
sten erzählenden Texten der sumerischen Überlieferung finden
sich Erwähnungen von Opferschauen und der Ausdeutung von
Träumen. 6 Auch wenn diese Belege, die vor allem in
Königsinschriften und gegen Ende des 3. Jt. v. Chr. auch in litera-
rischen Erzählungen erscheinen, von einer weiten Verbreitung
und recht häufigen Anwendung divinatorischer Techniken zeu-
gen, so werden die ominösen Beobachtungen doch erst in der
altbabylonischen Zeit verschriftlicht und tradiert. Auch für die
hier vorgelegten Omina terrestrischen, teratologischen und phy-
siognomischen Inhalts finden sich die ältesten Texte in altbaby-
lonischer Zeit, während die Traum-Omina erstmals in der zwei-
ten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends belegt sind.

Zu ebendieser Zeit entwickelten die Assyrer ein lebhaftes
Interesse an der babylonischen Schriftkultur und rezipierten unter
anderem auch divinatorische Texte aus Babylonien, was sich
besonders gut an den Opferschau-Texten zeigen läßt, da sich
zahlreiche babylonische Originaltexte dieser Gattung in Assur
fanden. 7 Diese babylonischen Tafeln dürften zumindest teilweise
bei den Plünderungen von Bibliotheken während der babyloni-
schen Feldzüge des Königs Tukultl-Ninurta requiriert und nach
Assur verbracht worden sein. 8 Da sich jedoch keine babyloni-
schen Tafeln mit terrestrischen, teratologischen, physiognomi-
schen oder oneiromantischen Omina in Assur fanden, bleibt
unklar, wie das Wissen um diese Divinationstechniken in die
assyrische Hauptstadt gelangte.

5 Zum „stream of tradition“ siehe A.L. Oppenheim, Ancient Mesopotamia, 13.

6 Lür die Divination in sumerischen Quellen ist nach wie vor A. Lalkenstein,
in: La Divination, 45-68 heranzuziehen. Siehe ebd. S. 50 für eine Opferschau
unter Urnanse (26./25. Jh. v. Chr.) und S. 57 für den Traum des Eannatum
(25. Jh. v. Chr). Lür die Divination in Ebla vgl. P. Fronzaroli, QdS 19 (1997)
1-21, M.G. Biga, NABU 1999/109 und M. Coser, UF 32 (2000) 169-176.

7 E. Weidner, AfO 16 (1952-53) 200, o-y.

8 P. Machinist, Tukulti-Ninurta, 128f., 367f.

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