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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 1): Divinatorische Texte: I. Terrestrische, teratologische, physiognomische und oneiromantische Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.32126#0020
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entspricht; diese Tafeln werden hier als ’frühneuassyrisclv
bezeichnet. Unter den mittelassyrischen Tafeln findet sich, wie
zu erwarten, kein Textvertreter der Serie summa älu, und auch
die meisten frühneuassyrischen Tafeln lassen sich der Serie nicht
zuordnen. Auf den neuassyrischen Tafeln hingegen finden sich
durchweg Manuskripte der kanonischen Serie; wo sich einzelne
neuassyrische Texte nicht sicher der Serie summa älu zuweisen
lassen, handelt es sich um sehr kleine Fragmente oder aber um
Texte, zu denen entsprechende Duplikattexte fehlen. Neben den
Standardtexten der Serie summa älu ist in Assur auch ein kleiner
neuassyrischer Kommentar zu terrestrischen Omina gefunden
worden (KAR 52), der Beobachtungen des Waschverhaltens
eines Mannes 44 ausdeutet 45 Von besonderer Bedeutung für die
Rekonstruktion der kanonischen Serie ist der Katalog zu den
Serien enüma Anu Enlil und summa älu aus Assur, 46 der in Kol.
II und III die Incipits der 1 .-26. und der 33.-62. Tafel von summa
älu enthält und damit das Rückgrat der Rekonstruktion der Serie
bildet. Dagegen wurden in Assur keine terrestrischen Omina
gefunden, die als ahü „abseitig“ oder als Exzerpttext (nishu)
bezeichnet werden.

Die hier publizierten und bearbeiteten Tafeln stammen,
soweit die Fundnummern und damit die Fundorte zu identifizie-
ren sind, aus verschiedenen Fundkomplexen. Die meisten terre-
strischen Omina, ausschließlich mittelassyrisch zu datierende
Tafeln (Nr. 5, 14-18, 28, 31 sowie der terrestrisch-physiognomi-
sche Text Nr. 47), wurden im Bereich des Südwesthofes des
Assur-Tempels gefunden 47 Sie gehörten, mit Ausnahme von Nr.
28, zu einer in diesem Teil des Tempels aufbewahrten offiziellen
Bibliothek, in der viele mittelassyrische und mittelbabylonische
literarische Texte aufbewahrt wurden. Es läßt sich nicht genau
bestimmen, zu welchem Zeitpunkt diese Bibliothek begründet

44 Die terrestrischen wie die physiognomischen, teratologischen und oneiro-
mantischen Omina beziehen sich zumeist auf den Mann (,awilum, später
amelu, logographisch NA oder LÜ geschrieben), seltener auf den König. Das
Wort awTlum bezeichnet sicher nicht immer nur den Mann, sondern in eini-
gen Belegen außerhalb der Omina ganz allgemein die Person. Man würde
jedoch die moderne „political correctness“ zu weit treiben, wenn man die
Belege in den Omina mit „Person“ oder sogar „Mensch“ übersetzt, um das
weibliche Geschlecht mit einzuschließen. In der patriarchalen altorientali-
schen Gesellschaft beziehen sich die ominösen Beobachtungen analog der
androzentrischen Weltsicht der Schreiber durchweg auf den Mann. Dies
wird nicht nur durch viele Apodosen klar, die sich dezidiert nicht auf das
weibliche Geschlecht beziehen lassen, sondern auch durch die Sexual-
Omina, die ausschließlich die männliche Sexualität thematisieren, siehe dazu
A.K. Guinan, Gender & History 9 (1997) 462-479. Wenn sich Omina auf
Frauen beziehen, wird dies in Protase wie Apodose deutlich gemacht (siehe
beispielsweise die Omina in Nr. 6 IV 22’, Nr. 9 III 27’-28’,IV 4-11, IV 17,
Nr. 11 Vs. 33-37, Nr. 12 Vs. 19’-27’ und Nr. 16 Vs. 59).

45 VAT 8282 (KAR 52) ist von W. Farber, OrNS 58 (1989) 86-101 bearbeitet
und ausführlich im größeren Kontext der Duplikattexte und weiterer
Kommentare besprochen worden, so daß hier auf eine Bearbeitung verzich-
tet wurde. Ein weiterer Kommetar, der unter anderem auch terrestrische
Omina erklärt, ist VAT 10097 (KAR 180). Dieser Text zeigt große Ähnlich-
keiten zum Prodigienbuch, das zuletzt von A.K. Guinan, AMDII, 7-40 bear-
beitet wurde.

46 vat 9438 (KAR 407) + VAT 10324 (AfO 14, Tafel III: VAT 9438 +
10324) + VAT 9775 (KAR 394). Der Katalog zu enüma Anu Enlil wurde
kürzlich von J.C. Fincke, OrNS 70 (2001) 19-39 neu bearbeitet. Der Katalog
zu summa älu wurde von S.M. Freedman, City I, 322f. bearbeitet, zu
Verbesserungen siehe N.P. Heeßel, AfO 48/49 (2001-2002) 241. Da die
Kopien Ebelings von KAR 394 und 407 für den summa älu-Katalog korrekt
sind, wird hier auf eine erneute Kopie verzichtet. Zum Inhalt der IV. Kol. des
Katalogs siehe N.P. Heeßel, AfO 48/49 (2001-2002) 235 Anm. 20.

47 Siehe dazu O. Pedersen, ALA I, 31-42 (M 2) und ALA II, 12-28 (N 1).

wurde 48 ihre Zerstörung erfolgte jedoch bei der Eroberung der
Stadt durch die Meder im Jahr 614 v. Chr., wodurch sich zeigt,
daß die mittelassyrischen und mittelbabylonischen Tafeln bis in
die neuassyrische Zeit in dieser Bibliothek aufbewahrt wurden.
Eine mittelassyrische Tafel mit Vogel-Omina (Nr. 28) wurde
ebenfalls im Assur-Tempel gefunden, jedoch nicht als Teil einer
Bibliothek, sondern als Füllmaterial unter einem Türangelstein
Salmanassars III. (858-824 v. Chr.), wodurch sich ein terminus
ante quem für den Zeitpunkt ergibt, an dem die Tafel ausgeson-
dert und weggeworfen wurde. Alle anderen terrestrischen Omina,
deren Fundorte zu identifizieren sind, stammen aus vier neuassy-
rischen Privatbibliotheken von Gelehrten, die sich alle ins ausge-
hende 8. oder in das 7. Jh. v. Chr. datieren lassen. Ganz in der
Nähe des Assur-Tempels, an der Ostecke der großen Ziqqurrat
wurden die Reste der Bibliothek des Schreibers Nabü-aha-iddina
und seines Sohnes gefunden (ALA, N 2). Zu den Tafeln des
Nabü-aha-iddina gehörten auch Schlangen-Omina mit
Geheimwissenvermerk (Nr. 13) und eine Abschrift der 37. Tafel
von summa älu (Nr. 21) mit Ameisen-Omina, die nach einer
Vorlage aus Babylon geschrieben wurde. Dem sog. „Haus des
Beschwörungspriesters“ mit der umfangreichsten privaten
Bibliothek Assurs (ALA, N 4) lassen sich nur wenige der terre-
strischen Omina zuweisen, obschon die Serie summa älu zum
Curriculum des Beschwörers gehörte, wie der auch in Assur
belegte „Leitfaden der Beschwörungskunst“ 49 zeigt. Neben einer
Abschrift der 103. Tafel der Serie mit Sexual-Omina (Nr. 35)
fanden sich in dieser Bibliothek eine leider sehr zerstörte Tafel
im Querformat mit Mungo-Omina (Nr. 19) sowie ein sehr klei-
nes, inhaltlich unergiebiges Fragment (Nr. 45). 50 Mit hoher
Wahrscheinlichkeit sind dies jedoch nicht die einzigen Tafeln mit
terrestrischen Omina, die der Beschwörer Kisir-Assur und seine
Familie besaßen, da sich unter den neuassyrischen Tafeln, deren
Fundnummer verloren gegangen ist, noch einige dieser
Bibliothek zuweisen lassen dürften. In zwei weiteren, an der
Stadtmauer gelegenen Häusern wurden die Reste von
Privatbibliotheken (ALA, N 6 und N 7) geborgen, die jeweils
auch zwei Tafeln mit terrestrischen Omina enthielten. In einem
Falle (ALA, N 6) handelt es sich um Abschriften der 24.
(Schlangen-Omina, Nr. 12) und 34. Tafel (Mungo-Omina, Nr.
20), im anderen Falle um Manuskripte der 23. (Schlangen-
Omina, Nr. 11) und 45. Tafel von summa älu (Katzen-Omina, Nr.
22). Leider sind beide Bibliotheken in so schlechtem

48 Die Darstellung E. Weidners, AfO 16 (1952-53) 197-215, die mittelassyri-
schen Tafeln aus dem Assur-Tempel und dem Stadtgebiet seien Teil einer
von Tiglatpileser I. initiierten Bibliothek gewesen, ist auf Kritik gestoßen,
siehe W.G. Lambert, Iraq 38 (1976) 85f„ Anm. 2. Nachdem H. Freydank,
Beiträge, 94-97 nachgewiesen hat, daß viele Tafeln dieser Bibliothek ca. 50
Jahre vor Tiglatpileser I. abgefaßt wurden, und außerdem die Textstelle mit
Erwähnung einer Bibliotheksgründung im Assur-Tempel als Fehllesung
erkannt wurde, kann die Vorstellung einer von Tiglatpileser I. in Auftrag
gegebenen Bibliothek nicht mehr aufrecht erhalten werden.

49 VAT 8275 (KAR 44) wurde zuletzt von MJ. Geller, in: Fs. Lambert, 242-
254 bearbeitet. Die Serie summa älu wird dort auf der Rs„ Z. 39 aufgelistet.

5° Daneben fand sich auch der kleine Kommentar zu Omina anhand des
Waschverhaltens (KAR 52, siehe oben Anm. 45) in dieser Bibliothek. In N
4 fand sich auch die Tafel mit oneiromantischen Omina (Nr. 55), siehe dazu
unten S. 10.

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