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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 1): Divinatorische Texte: I. Terrestrische, teratologische, physiognomische und oneiromantische Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.32126#0024
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frühen 1. Jt. v. Chr. wurden die teratologischen Omina zu der aus
24 Tafeln bestehenden Serie summa izbu kanonisiert, die uns vor
allem aus den Bibliotheken von Ninive, aber auch aus Nimrud,
Babylon, Borsippa und Uruk bekannt ist. Nicht der kanonischen
Tradition folgende Texte sind auch in Huzirlna (Sultantepe) und
Susa gefunden worden. Angesichts der großen Bedeutung von
teratologischen Omina im Alten Orient sind sie in Assur nur recht
spärlich belegt. Die einzige größere Tafel mit teratologischen
Omina ist VAT 9966 (KAR 403), die E. Leichty in seiner
Bearbeitung von summa izbu der 7. Tafel der Serie zugewiesen
hat. Diese sicher mittelassyrisch zu datierende Tafel, die leider
keinen Kolophon aufweist, dupliziert jedoch keinen der sicher
der siebenten Tafel zugeordneten Textvertreter und ist allein aus
inhaltlichen Kriterien dieser Tafel zugeordnet. 80 Daher erscheint
es unwahrscheinlich, daß VAT 9966 (KAR 403) tatsächlich ein
Manuskript der kanonischen Serie darstellt; vielmehr dürfte es
sich um einen Text handeln, der - wie auch die mittelassyrischen
terrestrischen Omina - ein „Vorläufer“ 81 der späteren kanoni-
schen Serie ist. Das kleine frühneuassyrische Fragment VAT
11526 (Nr. 48) kann inhaltlich mit der 6.-17. Tafel der Serie,
genauer vielleicht mit dem Ende der 16. Tafel, verbunden wer-
den, jedoch ist es nicht sicher ein Manuskript der Serie summa
izbu. Auch die mittelassyrische Tafel VAT 9908 (Nr. 47) läßt
sich nicht der Serie zuweisen, sondern verbindet terrestrische
Omina auf der sehr abgeriebenen Vorderseite mit „summa izbu
aM“-Omina auf der Rückseite. 82 Wenn somit auch keine einzige
sichere Abschrift der Serie summa izbu in Assur gefunden wurde,
stammt zumindest das größte und vollständigste Exemplar des
wichtigsten sdtw-Wortkommentars zur Serie aus Assur. 83

80 E. Leichty, izbu, 90-101. Auf S. 91 listet Leichty die sechs von ihm der 7.
Tafel von summa izbu zugeordneten Textvertreter auf. Ein Textvertreter (A
= K 2317+) aus Ninive bietet Anfang und Ende des Textes sowie einen
Kolophon, der ihn eindeutig als Manuskript der 7. Tafel ausweist. Keiner der
anderen fünf aufgeführten Texte dupliziert diesen Text. Auch ein weiterer
Ninive-Text (B = 79-7-8,109) wird von keinem anderen Textvertreter dupli-
ziert. VAT 9966 (C) hingegen dupliziert die beiden babylonischen
Textvertreter (D = BM 99078 und E = BM 66967) unter Auslassung eines
Omens (57’)- Während die Zuordnung von Textvertreter B zur 7. Tafel sich
durch Erwähnungen entsprechender Wörter im Hauptkommentar (Z. 96’ und
99’) rechtfertigen läßt, werden die Textvertreter D und E nur aufgrund eines
einzigen auch im Hauptkommentar erwähnten Wortes (Z. 77’: da-kis zu da-
ka-su im Hauptkommentar Z. 267-269) dieser Tafel zugewiesen. Kein einzi-
ges Wort des recht langen, immerhin 70 Zeilen umfassenden Textes von
VAT 9966 (C) wird im Hauptkommentar oder in dem von I.L. Finkel, in: Fs.
Leichty, 139-148 publizierten Kommentar zur 7. Tafel aufgenommen.
Hierdurch steht die Zuordnung der Textvertreter C-E zur 7. Tafel von summa
izbu auf sehr wackligen Füßen. Doch selbst wenn sich erweisen sollte, daß
die Textvertreter D und E zur 7. Tafel von summa izbu gehören, heißt dies
noch nicht, daß deswegen auch VAT 9966 notwendigerweise ein
Textvertreter der kanonischen Tafel ist. Das Material des mittelassyrischen
Textes VAT 9966 könnte auch mit Änderungen (vgl. die Varianten zum
Textapparat in E. Leichty, izbu, 94f.) in die spätere Serie integriert worden sein.

81 Auf die Schwierigkeiten, die sich mit dem Terminus „Vorläufer“ verbinden,
hat W. Farber, in: Fs. Hallo, 95-97 hingewiesen. Tatsächlich verbergen sich
hinter den „Vorläufern“ der kanonischen Serien oft schon länger tradierte
Texte, die bei der Schaffung einer neuen Serie teilweise mit Änderungen,
teilweise aber auch relativ unverändert integriert wurden, vgl. dazu N.P.
Heeßel, Diagnostik, 105-107.

8- VAT 9908 wurde im Bereich des Südwesthofes des Assur-Tempels gefun-
den (ALA N 1), in dem auch zahlreiche andere mittelassyrische Omen-
Tafeln gefunden wurden, siehe oben S. 5. Die Fundorte der anderen beiden
teratologischen Texte aus Assur lassen sich nicht mehr feststellen.

83 Hierbei handelt es sich um die Tafel VAT 9718, die E. Leichty, izbu, 211-
229 bearbeitet hat. Die Tafel wurde in der Bibliothek eines neuassyrischen

Die physiognomischen Omina aus Assur

Die ebenso wie die terrestrischen und teratologischen Omina
erstmals in der altbabylonischen Zeit in Babylonien verschrift-
lichten physiognomischen Omina, werden ab der Mitte des 2. Jt.
v. Chr. auch in Emar, Hattusa, Susa und Assur rezipiert und in
Hattusa auch ins Hethitische übersetzt 84 In der Mitte des 11. Jh.
v. Chr. stellte der Gelehrte Esagil-kln-apli aus Borsippa die phy-
siognomischen Omina in eine verbindliche Reihenfolge und
kanonisierte sie damit. 85 Den Kern der zusammengestellten
Texte bildete die aus zwölf Tafeln bestehende Serie summa alam-
dimmü „Wenn die Gestalt“, in der Omina anhand der
Beobachtungen am männlichen Körper, „vom Kopf zu den
Füßen“ angeordnet, zusammengestellt werden. Zu der Serie
gehören weitere kleinere „Unter“-Serien wie summa nigdimdim-
mü, summa kataduggü, summa sinnistu qaqqada rabät und
summa liptu, die Verhaltens-Omina, physiognomische Omina
mit Bezug auf das Erscheinungsbild von Frauen oder Körpermal-
Omina enthalten. Neben Kommentaren und Exzerpttafeln zur
kanonischen Serie wurden im 1. Jt. v. Chr. auch einige physio-
gnomische Texte überliefert, die nicht der Serie alamdimmü
angehören. 86

In Assur sind einige Tafeln mit physiognomischen Omina
gefunden worden, die aus der mittel- und frühneuassyrischen Zeit
stammen. 87 Die mittelassyrische 88 Tafel VAT 10155 (KAR 395)
enthält verschiedene Omina, die das Gesicht betreffen; ver-
gleichbare Omina finden sich in der 3.-5. Tafel der Serie alam-
dimmü. Der Kolophon weist den Text als 2. Tafel einer nicht
genannten Serie aus, die Stichzeile zur 3. Tafel läßt sich jedoch
mit keinem anderen Text verbinden. Dieser Kolophon deutet dar-
auf hin, daß die physiognomischen Omina bereits in mittelassy-
rischer Zeit - als vor der Tätigkeit des Esagil-kln-apli - in eine
Reihenfolge gestellt und zu einer Serie geformt waren. Die
Vermutung, daß die redaktionelle Tätigkeit des Esagil-kln-apli
sowohl an den medizinisch-diagnostischen Texten 89 als auch an

Gelehrten aufgefunden (ALA, N 7: 1), in der auch Manuskripte der 23. und
45. Tafel von summa älu vorhanden waren (Nr. 11 und Nr. 22), siehe dazu
oben S. 5.

84 Zur Tradition der physiognomischen Omina siehe B. Böck, Morphoskopie,
9-14,296-305.

85 Siehe hierzu I.L. Finkel, in: Gs. Sachs, 143-159.

8^ B. Böck, Morphoskopie, 238-290.

87 Leider läßt sich bei keiner der Tafeln der Fundort feststellen, da die
Fundnummern sämtlicher Tafeln, die physiognomische Omina enthalten,
verloren gegangen sind.

88 So aufgrund des Duktus sicher zu datieren. Für eine Bearbeitung der Tafel
siehe B. Böck, Morphoskopie, 290-295. Verbessere dort S. 294, Z. 92 die
Schreibung AN.SÄR im Kolophon, die für eine späte Datierung gesprochen
hätte, zu dAs-sur, wie korrekt von E. Ebeling in KAR 395 IV 26’ autogra-
phiert.

89 In N.P. Heeßel, Diagnostik, 104-110 hat der Verfasser dieser Zeilen zu zei-
gen versucht, daß die Serialisierung der medizinisch-diagnostischen Texte
durch Esagil-kin-apli aufgrund von älteren, bereits serialisierten Texten als
eine Neubearbeitung angesehen werden muß, die einen anderen Ansatz als
die ältere Serie verfolgt, nämlich die Anordnung der Texte nach dem Prinzip
a capite ad calcem „vom Kopf zu den Füßen“. Der außergewöhnliche
„Kolophon“ des Esagil-kin-apli (I.L. Finkel, in: Gs. Sachs, 148-150 und N.P.
Heeßel, Diagnostik, 104f.), der zwischen den Katalogen zu seinen beiden
neuen Serien SA.GIG und alamdimmü eingeschoben ist, diente damit der
Rechtfertigung dieser „Gegenserialisierung“ und zielte auf die Einbettung
der neuen Serien in den „Traditionsstrom“ der Überlieferung.

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