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Einleitung

Schadenzauberglaube in Mesopotamien

Die Überzeugung, daß bestimmte physische und psychische
Leiden ihre Ursache in rituellen Praktiken und manipulierten
Substanzen haben, die Menschen in böser Absicht gegen einen
ihrer Mitmenschen eingesetzt haben, gehört in allen altorientali-
schen Epochen zu den unhinterfragten Grundannahmen der
babylonisch-assyrischen Heilkunde. 1 Man bezeichnete diese ille-
gale Praxis im Akkadischen mit dem Oberbegriff kispü
„Hexerei(en)“, „Schadenzauber“, einem grundsätzlich polemisch
gebrauchten Begriff, der immer nur in Bezug auf andere verwen-
det wird. Darüber hinaus kennt die heilkundlich-religiöse Litera-
tur eine differenzierte Terminologie für verschiedene spezielle
Formen der Behexung bzw. des Schadenzaubers, die sich an be-
stimmten Stellen mit der Terminologie der im allgemeinen nicht
mit dem Stigma kispü behafteten Ritualistik überschneidet. 2

Über die Vorstellungen, die man mit der Krankheitsursache
kispü assoziierte, und die Mittel und Wege, wie man der Be-
drohung und den von ihr verursachten Leiden Herr werden
konnte, informiert ein umfangreiches und vielgestaltiges
„Corpus“ von diagnostischen, vor allem aber therapeutischen
Texten. Der Großteil der bislang bekannten Texte stammt aus

1 Die folgenden Ausführungen geben einen knappen, zusammenfassenden
Überblick über die Vorstellungen, die sich nach den keilschriftlichen
Quellen im alten Mesopotamien mit dem Phänomen „Schadenzauberglaube“
verbanden. Eine ausführliche Darlegung dessen, was hier nur kurz skizziert
werden kann, findet sich in den ersten drei Kapiteln meiner noch unveröf-
fentlichten Würzburger Habilitationsschrift, die in überarbeiteter Form als
eigene Monographie veröffentlicht werden sollen. Mehr oder weniger detail-
lierte Überblicksdarstellungen zum Themenkreis „Schadenzauber in Meso-
potamien“, deren kritische Diskussion ebenfalls der noch unveröffentlichten
thematischen Studie vorbehalten bleiben muß, wurden in jüngerer Vergan-
genheit von verschiedenen Gelehrten vorgelegt; zu nennen sind insbeson-
dere: T. Abusch, BWiL; ders., MesWi (beachte den Rezensionsartikel von
M. Worthington in BiOr 61 [2004] Sp. 259-277); W. Farber, CANE III
1895-1909; M.-L. Thomsen, Zauberdiagnose (beachte folgende Rezensio-
nen: MJ. Geller, BiOr 45 [1988] Sp. 629-632; S.M. Mauf, WO 10 [1988]
165-171); dies., Witchcraft and Magic.

2 Dem Oberbegriff kasäpu „(be)hexen“ in seiner übergreifenden Bedeutung

etwa gleichgestellt ist epesu „machen, tun“, das innerhalb bestimmter
Kontexte „(Rituale) durchführen“ und dann eben auch „(Schadenzauber-
rituale) durchführen“, „zaubern“ bedeuten kann. Zu dieser Sonderbedeutung
von epesu werden verschiedene Ableitungen gebildet, in denen zum Teil die
Bedeutungsambivalenz des Grundwortes fortlebt (z.B. epistu „Ritus“,
„Zauberei“, anders aber z.B. mustepistu „Zauberin“). Weitere allgemeine
Begriffe für Hexerei sind ruhü und rusü. Für beide Termini lassen sich ety-
mologisch spezifischere Bedeutungen erschließen, die jedoch auf der Ebene
der uns überlieferten Texte allem Anschein nach keine Rolle (mehr) spielen
(ruhü zu rehü, ruhhü „begatten, sich über jemanden ergießen, jemanden
überwältigen, jemanden behexen“; rusü zu russü „binden“). Typische
speziellere Formen des Schadenzaubers sind z.B. zikuruda-zikurudü (vgl.

Bibliotheken des 1. Jt. v. Chr., hervorzuheben sind neben den
königlichen Tafelsammlungen des Assurbanipal in Ninive die
Tempelbibliothek des Nabü-Tempels in Nimrud, die Privat-
bibliotheken assyrischer Gelehrter in Sultantepe (HuzirTna) und
babylonischer Gelehrter im seleukidischen Uruk sowie - nicht
zuletzt - die Bibliotheken der alten assyrischen Hauptstadt Assur
(dazu ausführlicher im folgenden).

Als Handlungsanleitungen, Ausbildungstexte, Nachschlage-
und Referenzwerke wurden diese Texte im 1. Jt. vor allem von
einem Berufsstand geschrieben und genutzt: dem des äsipu, des
Beschwörers. Ihm zur Seite stand der asü, eigentlich wohl vor
allem ein Wundarzt und Heilmittelkundiger; gebildete Vertreter
dieses Berufes gehörten jedoch ebenfalls zum engsten höfischen
Zirkel und sind vor allem für die Zusammenstellung der großen
Pharmaka-Listen verantwortlich. Schließlich übemahm auch der
bärü, der Opferschauer, innerhalb der Heilkunde eine wichtige
Rolle, zumal im Bereich der Diagnostik und Prognostik. Wir
sehen im 1. Jt. - und auch zuvor - freilich Überschneidungen
unterschiedlicher Art zwischen allen drei Bemfsgmppen. Wie die
in Sultantepe gefundene Bibliothek zeigt, gehörten die einschlä-
gigen Texte aber auch für eine Familie von sangü zumindest zum
Bildungsgut. 3

Wohl erst verhältnismäßig spät wurden die Rituale und Re-
zepte des Abwehrzaubers zu einem eigentlichen Corpus zusam-
mengefaßt und in einer Serie zusammengestellt (die sogenannte(n)

nikis bzw. nakas napisti), eine lebensbedrohliche Form des Schadenzaubers
(wörtlich: „Kehldurchschneidung“), oder kadabbeda-kadabbedü (vgl. sibit
pi), eine Form des Schadenzaubers, die das Sprechvermögen des Opfers im
weitesten Sinne beeinträchtigt (wörtlich: „Packen des Mundes“). Bestimmte
Ritualtypen wurden offenbar als ambivalent empfunden. Sie finden sich
daher zugleich im überlieferten Textcorpus des Beschwörungspriesters und
in Listen von Schadenzauberbegriffen. Es handelt sich dabei in erster Linie
um Rituale zur Vernichtung von Feinden, Rituale zur Beruhigung des Zorns
anderer Menschen sowie Rituale des Liebeszaubers (siehe bereits J.A.
Scurlock, AfO 36-37 [1989-90] 109f.).

3 Einen deutlichen Fortschritt im Verständnis der assyrisch-babylonischen
Heilberufe könnte m.E. nur eine diachrone Untersuchung der verschiedenen
involvierten Berufe erbringen, die zumindest für die früheren Epochen auch
den bärü in die Untersuchung einbezieht und ihren Blick nicht auf das baby-
lonisch-assyrische Material beschränkt, sondern die Adaption der verschie-
denen sumerisch-akkadischen Berufsbezeichnungen in den Schrifttraditionen
der Randgebiete als Indikator für das Profil der jeweiligen Berufe zum
Entlehnungszeitpunkt mitnutzt. Die einseitige Konzentration auf die thera-
peutischen und diagnostischen Textcorpora des 1. Jt. in der Diskussion um
diese Berufsbilder scheint mir - trotz der zahlreichen Beiträge zu dieser
Problematik gerade aus jüngerer Zeit - in eine Sackgasse zu führen (vgl. D.
Schwemer, THeth 23, 2ff. mit Literaturhinweisen; danach: J.A. Scurlock,
Physician passim; B. Böck, AfO 48-49 [2001-2002] 228ff.; S.M. Maul,
‘Lösung vom Bann’, 80-82).

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