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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0022
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Einleitung

9

zeigt eine Abrechnung aus dem altbabylonischen Mari, aus der
hervorgeht, daß alleine im dortigen Palast monatlich durch-
schnittlich über 500 Tiere zu Zwecken der Opferschau
geschächtet wurden. 101 So häufige Befragungen mußten sicher
von vielen Opferschauern durchgeführt werden, die durch ihre
Tätigkeit im Umfeld der Herrscher eine Vertrauensposition
innehatten. Wie ein Dokument aus Mari zeigt, schworen die
Opferschauer einen Amtseid, dem König gegenüber loyal zu
sein und ihn auch über alle Entwicklungen, von denen sie durch
ihre Arbeit für private Klienten Kenntnis erlangten, zu informie-
ren. 102 Dies illustriert, wie sehr die Herrscher auf ihre Opfer-
schauer angewiesen waren und wie sehr sie gezielte Fehl-
informationen fürchteten. Im ersten vorchristlichen Jahrtausend
wurden Opferschauer aus Angst vor Manipulation in Gruppen
aufgeteilt, die sich gegenseitig kontrollierten; 103 die Entwick-
lungen in der Ausdeutung der Opferschau-Befunde und die
Professionalisierung des Berufsstandes von der altbabyloni-
schen zur neuassyrischen Zeit hatten es Laien unmöglich
gemacht, sich selbst einen Eindruck von der Qualität der
Opferschau und ihrer Deutung zu verschaffen. Wenn auch die
Verläßlichkeit einzelner Opferschauer in Frage stand, wurde das
Funktionieren der Opferschau als Vergewisserungssystem nie-
mals angezweifelt.

Einige Forscher haben jedoch für die Spätzeit die Tendenz
wahrgenommen, daß die Opferschau zugunsten der Astrologie
und anderer Divinationstechniken an Bedeutung verlor. 104 Inso-
weit diese eine Bevorzugung der Astrologie bereits zu Zeiten der
spätassyrischen und -babylonischen Könige (ca. 722-539 v.
Chr.) annehmen, kann dem hier nicht gefolgt werden. Es gibt
keinerlei Quellen, die einen expliziten Hinweis auf eine höhere
Wertung der Astrologen gegenüber den Opferschauern bie-
ten, 105 und die Tatsache, daß auch unter den spätassyrischen
Herrschern zahlreiche Opferschauen durchgeführt wurden,
spricht gegen diese Annahme. Auch ist es unwahrscheinlich, daß
die Opferschau in direkter Konkurrenz zur Astrologie stand, da
die Vergewisserungstechnik der Opferschau die einzige
Möglichkeit für die Herrscher darstellte, ihre Entscheidungen
von der göttlichen Sphäre legitimieren zu lassen, und nicht - wie
bei der Astrologie - ihrerseits auf Zeichen der Götter warten zu
müssen. 106 Nach dem Untergang des mesopotamischen
Königtums verloren die Opferschauer jedoch ihre wichtigste
Klientel, und dies führte zu einem Niedergang ihres Berufsstan-
des in der Spätzeit.

101 J.-M. Durand, ARM 26/1, S. 37.

102 J.-M. Durand, ARM 26/1, Nr. 1. Eine englische Übersetzung hat
W. Heimpel, Letters 174f. vorgelegt.

103 Siehe hierzu den „die Sünde Sargons“ genannten Text bei
A. Livingstone, SAA III 33 Vs. 13-17 und Rs. 13-20, und siehe auch
H. Tadmor et al., SAAB III/l (1989) 3-51 sowie B. Pongratz-Leisten
SAAS X 163-166. Weitere Evidenz stellt auch U. Jeyes, OBE 195
Anm. 103 zusammen.

104 U. Jeyes, Assyriological Miscellanies 1 (1980) 28.

105 Einen impliziten Hinweis auf die höhere Bedeutung der Astrologen
gegenüber anderen Gelehrten könnte in der Liste der Gelehrten am neu-
assyrischen Hof (K 1276 = ADD 851, neu bearbeitet von F. M. Fales
und J. N. Postgate, SAA VII 1) gesehen werden, wie dies auch
A. L. Oppenheim, Centaurus 14 (1969) 100 getan hat. Dort erscheinen
die Astrologen vor den Beschwörem, Opferschauern und Ärzten sowie
weiteren Gelehrten. Wir wissen jedoch nichts darüber, nach welchen
Prinzipien die Liste zusammengestellt wurde.

106 Zu einem ausgewogenen Bild des Verhältnisses von Opferschau und
Astrologie am spätassyrischen Königshof siehe auch I. Starr, SAA IV,
S.XXX-XXXV.

Die mesopotamische Keilschriftkultur hat, vor allem in der
zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr., auf alle benach-
barten Kulturen ausgestrahlt. Das hohe Ansehen der mesopota-
mischen Gelehrsamkeit und die Ausbreitung des Akkadischen
als lingua franca dieser Zeit haben dazu geführt, daß sich auch
die verschiedensten divinatorischen Keilschrifttexte außerhalb
Mesopotamiens finden. Insbesondere die Hethiter haben die ver-
schiedenen Formen der babylonischen Divination, darunter auch
die Opferschau, aufgenommen und neben ihren lokalen
Traditionen weitergepflegt. 107 Auch der syrisch-levantinische
Raum nahm mit der Keilschrift divinatorische Vorstellungen aus
Babylonien auf, und so finden sich Opferschau-Kompendien
und/oder -Modelle in Emar, Ugarit, Ebla, Tell Mumbaqa, Tell
el-Hajj, Megiddo und Hazor. 108 Während sich im pharaonischen
Ägypten verschiedene Divinationspraktiken nachweisen lassen,
die auf mesopotamischen Einfluß zurückgehen, scheint die
Opferschau - jedenfalls nach den bislang bekannten Quellen - in
Ägypten nicht ausgeübt worden zu sein. 109 Die Frage, ob im
Alten Israel die Opferschau praktiziert wurde, wird nach wie vor
kontrovers diskutiert. 110 Die mesopotamische Opferschau wurde
um die Mitte des zweiten Jts. v. Chr. auch in Elam rezipiert, wo
sich akkadische Opferschau-Kompendien in Susa, Haft Tepe
und Choga Pahn fanden. * * 111 Im syrisch-anatolischen Raum wur-
den Opferschau-Texte auch in anderen Sprachen als dem
Akkadischen, nämlich in hethitischer, hurritischer und ugariti-
scher Sprache niedergeschrieben. 112

Ob und wie die altorientalische Opferschau auch auf geo-
graphisch weiter entfernte Kulturen wie etwa die etruskische
gewirkt hat, bleibt umstritten. Da sich die etruskische Opfer-
schau bisher nur anhand von einigen wenigen Lebermodellen
studieren läßt, kann hier wohl kaum eine abschließende Klärung
herbeigeführt werden. So haben sich Bedrich Hrozny, Jean
Nougayrol, Guiseppe Furlani, Raymond Bloch und Anneliese
Kammenhuber für eine Abhängigkeit der etruskischen
Lebermodelle von mesopotamischen Vorbildern ausgesprochen,
während Alfred Boissier, Rykle Borger und Erle Leichty eine
Verbindung zur hethitischen Orakelpraxis sehen möchten. 113 Jan

107 Zur hethitischen Divination und ihrer Beziehung zu Mesopotamien
siehe A. Archi, in: H.-J. Nissen (Hrsg.), BBVO 1, 279-293 und jetzt
V. Haas, Hethitische Orakel. Die noch unveröffentlichte Habilitations-
schrift von J. Hazenbos zur hethitischen Mantik wird zur Zeit zum
Druck vorbereitet.

108 Zu den Opferschau-Modellen siehe die Liste bei J.-W. Meyer, RIA 6,
523. Zu den Opferschau-Kompendien aus Emar vgl. D. Arnaud, Emar
IV, 283-309, D. E. Fleming, Time at Emar und Y. Cohen, ZA 97 (2007)
233-251. Zu Modellen und einem Kompendium aus Ugarit siehe
M. Dietrich und O. Loretz, Mantik in Ugarit 1-86.

109 A. von Lieven, AoF 26 (1999) 77-126. Auch J. F. Quack, in: K. Szpa-
kowska (Hrsg.), Through a Glass, 175-187 erwähnt keine Opferschau-
Texte unter den von ihm zusammengestellten neuen Quellen zur alt-
ägyptischen Divination.

110 Siehe die beiden Artikel von O. Loretz und J.-W. Meyer, in:
B. Janowski et al. (Hrsg.), OBO 129, 509-529 und 531-546, die zu
unterschiedlichen Ergebnissen kommen. F. W. Cryer, Divination 295-
305 hat sich für eine von Mesopotamien beeinflußte Opferschau-Praxis
in Israel ausgesprochen.

111 Diese Kompendien wurden von R. D. Biggs und M. W. Stolper, RA 77
(1983) 155-162, P. Herrero und J.-J. Glassner, IrAnt. 28 (1993) 126-133
und P. Daneshmand, JCS 56 (2004) 13-17 bearbeitet.

112 Siehe A. Kammenhuber, Orakelpraxis und H. A. Hoffner, in:
M. E. Cohen et al. (Hrsg.), Fs. W. W. Hallo, 116-119 zu hethitischen,
G. Wilhelm, ZA 77 (1987) 229-238 zu hurritischen und O. Loretz und
M. Dietrich, Mantik in Ugarit 1-86 zu ugaritischen Übersetzungen.

113 Zur Literatur der verschiedenen Meinungen siehe J.-W. Meyer, Studia
Phoenicia 3 (1985) 107 mit den Anm. 10-15 sowie J. de Roos, JAC 12
(1997)41.
 
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