10
Divinatorische Texte II: Opferschau-Omina
de Roos hingegen lehnt einen babylonischen oder hethitischen
Einfluß auf die etruskische Opferschau ab. 114 In einer sehr
detaillierten Untersuchung zu den beiden etruskischen
Lebermodellen kommt Jan-Waalke Meyer zu dem Schluß, daß
das töneme Lebermodell aus Lalerii Veteres „einer älteren Stufe
der etruskischen Leberschau an[gehört], die noch eng in der
babylonischen Tradition steht und deren Prinzipien ohne
Kenntnis nordsyrisch-palästinensischer Praktiken des ausgehen-
den 2. Jts. v. Chr. nicht denkbar sind“. Das bronzene Lebermo-
dell aus Piazenca „repräsentiert dagegen eine jüngere ... Stufe
der Leberschau mit nur partiellen Anregungen spätbabyloni-
scher Vorstellungen“. 115
Die Opferschau-Texte aus Assur
Die Opferschau-Kompendien aus Assur behandeln den gesam-
ten Bereich der Opferschau. All die Themenbereiche, die in der
bärütu-Serie oder in nicht-kanonischen Texten des ersten vor-
christlichen Jahrtausends abgehandelt werden, sind bereits in
den mittelassyrischen oder mittelbabylonischen Opferschau-
Kompendien aus Assur anzutreffen. So finden sich unter den
Texten aus Assur Kompendien zu äußerlichen Betrachtungen
des Knochengerüsts des Opfertieres (Nr. 2-7), zu den Gedärmen
(Nr. 8-12), zur Leber (Nr. 13-41) mit ihren verschiedenen Berei-
chen wie der „Präsenz“ (Nr. 13-17), dem „Pfad“ (Nr. 18-21), der
„Vorderseite der Tasche“ (Nr. 22-27), der Gallenblase (Nr. 28-
35), dem „Linger“ (Nr. 36-41) sowie den Keulenmarkierungen
(Nr. 42-46), zur Lunge (Nr. 47-63) und zu den verschiedenen
kommentierenden Texten (Nr. 64-77). Weiterhin sind in Assur
Nieren-Omina (Nr. 80-82), Omina anhand des Verhaltens des
Opferschafes (Nr. 83, 85), Omina anhand eines Opfervogels (Nr.
87-89) sowie Öl-Omina (Nr. 70) gefunden worden. Eine große
Tafel (Nr. 1) versammelt Omina aller Bereiche der Opferschau.
Zu den Opferschau-Modellen sind ein Darmwindungsmodell
(Nr. 9) sowie eine graphische Darstellung von Leber- und
Lungenbefunden zu stellen, deren Oberfläche jedoch nicht wie
bei anderen Modellen dreidimensional gestaltet ist (Nr. 78-79).
Recht zahlreich ist die Gruppe der Texte, die sich aufgrund ihres
fragmentarischen Zustands keinem Bereich der Opferschau mit
Sicherheit zuordnen lassen (Nr. 90-117). Die mittelassyrischen
Abhandlungen zu schwierigen Befunden sind besonders interes-
sant. Während manche mittelassyrischen Texte wie VAT 10114
(Nr. 69), der große Ähnlichkeit zu einer Tafel des Kapitels
summa multäbiltu der bärütu-Serie aufweist, oder VAT 13798
(Nr. 73), der Kalkulationen zu der adannu genannten Zeitspanne
enthält, schon länger bekannt waren, zeigen hier neu publizierte
Texte weitere Parallelen zum Kapitel summa multäbiltu (Nr. 65-
68), aber auch zu den nisirti bärüti und DUB HA.LA (Nr. 71,72,
75, 76) genannten Texten auf.
Die mittelassyrische Zeit war, nach der Quantität der erhal-
tenen Texte zu urteilen, die Phase der intensivsten Arbeit an den
Opferschau-Kompendien in Assur. Nicht weniger als 68 Tafeln
und Tafelfragmente lassen sich einigermaßen sicher dieser
Periode zuweisen, während 16 der frühneuassyrischen und nur
acht der neuassyrischen Zeit zuzurechnen sind. Die Datierungen
beruhen in den meisten Lällen auf paläographischen
114 J. de Roos, JAC 12 (1997) 40-42.
115 J.-W. Meyer, Phoenica 3 (1985) 119f.
Erwägungen, die sich wiederum in einigen Lällen auf
Eponymendatierungen in Kolophonen stützen können. Obwohl
die literarisch-wissenschaftlichen Texte der mittelassyrischen
Zeit zumeist mit einem Datum versehen wurden, sind wenige
Eponymendatierungen tatsächlich erhalten. Zu den datierten
Texten gehören vor allem die schon seit längerem bekannten
drei Opferschau-Kompendien aus der Zeit des Tiglatpileser I.
(1114-1076 v.Chr.): 116
A 8 (Nr. 37)
Eponym Tukulti-apil-Esarra
1. Jahr Tiglatpileser I. (1114 v. Chr.)
K 205(+)Rm2, 101 (Nr.51)
Eponym Istu-Assur-asämsu
Zeit Tiglatpilesers I.
VAT 10168 (Nr. 80)
Eponym Bere
Zeit Assur-resa-isis I.
Der Eponym Istu-Assur-asämsu ist um das Akzessionsjahr
Tiglatpilesers I. zu verorten, während der Eponym Bere vermut-
lich in die Zeit Assur-resa-isis I. (1132-1115 v. Chr.) datiert wer
den kann. 117 Dies harmoniert gut mit der Tatsache, daß alle drei
Opferschau-Kompendien von demselben Schreiber Samas-zera-
iddina geschrieben wurden. Diesen drei schon länger bekannten
Datierungen können nunmehr - neben drei Datierungen, bei
denen der Eponymenname abgebrochen ist 118 - zwei weitere
Eponymendatierungen hinzugefügt werden. Der auf VAT 10125
(Nr. 52) erwähnte Eponym IlT-uballissu läßt sich zeitlich nicht
genau einordnen, aber der durch den Eponym Assur-seziban-
ni 119 auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts v. Chr. datierte
Text VAT 11003 (Nr. 102) zeigt, daß Opferschau-Texte wie
auch die lexikalischen Texte der Lamilie des Ninurta-uballis-
su 120 bereits ca. 50 Jahre vor der Zeit Tiglatpilesers I. (1114-
1076 v. Chr.) in Assur tradiert wurden. Leider ist außer der
Eponymenangabe im Kolophon von VAT 11003 (Nr. 102) kein
Name erhalten, so daß nicht geklärt werden kann, ob auch dieses
Opferschau-Kompendium von Mitgliedern der gleichen
Schreiberfamilie geschrieben wurde.
Neben Eponymendaten und Paläographie kann zu
Datierungszwecken auch auf bestimmte Merkmale zurückge-
griffen werden, die Texten einer bestimmten Zeit eigen sind.
Hierzu gehört das Merkmal, am Ende eines Textes einen
Doppelstrich zu setzen, in den einmal oder mehrfach die Zeichen
BE und MAN geschrieben werden. Dies ist bislang nur auf
Tontafeln der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen
Jahrtausends zu beobachten, nicht nur in Assyrien, sondem auch
in Ugarit, Emar, Alalah und Bogazköy. 121 Solche Vermerke fin-
den sich in einem Einzelfall bei Opferschau-Kompendien aus
116 Die Eponymendatierungen der literarischen Texte aus Assur hat
H. Freydank, SGKAO 21,94-97 untersucht.
117 Siehe H. Freydank, SGKAO 21, 146 und 126.
118 Hierzu gehören VAT 10678 + VAT 10712 + VAT 11300 (Nr. 25),
VAT 10125 (Nr. 52) und VAT 13798 (Nr. 73).
119 Es gibt zwei Eponymen mit dem Namen Assur-sezibanni, der eine dürf-
te zur Zeit Assur-uballits I. (1353-1318 v. Chr.) das Eponymat inne
gehabt haben, der andere wird in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts
v. Chr. datiert. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist in VAT 11003 der
zweite Eponym dieses Namens gemeint.
120 Dies gilt insbesondere für die von H. Freydank, SGKAO 21, 95f.
zusammengestellten lexikalischen Texte, die im Besitz der Söhne des
Ninurta-uballissu waren.
121 Siehe W. van Soldt apud M. Stol, NABU 1996/73.
Divinatorische Texte II: Opferschau-Omina
de Roos hingegen lehnt einen babylonischen oder hethitischen
Einfluß auf die etruskische Opferschau ab. 114 In einer sehr
detaillierten Untersuchung zu den beiden etruskischen
Lebermodellen kommt Jan-Waalke Meyer zu dem Schluß, daß
das töneme Lebermodell aus Lalerii Veteres „einer älteren Stufe
der etruskischen Leberschau an[gehört], die noch eng in der
babylonischen Tradition steht und deren Prinzipien ohne
Kenntnis nordsyrisch-palästinensischer Praktiken des ausgehen-
den 2. Jts. v. Chr. nicht denkbar sind“. Das bronzene Lebermo-
dell aus Piazenca „repräsentiert dagegen eine jüngere ... Stufe
der Leberschau mit nur partiellen Anregungen spätbabyloni-
scher Vorstellungen“. 115
Die Opferschau-Texte aus Assur
Die Opferschau-Kompendien aus Assur behandeln den gesam-
ten Bereich der Opferschau. All die Themenbereiche, die in der
bärütu-Serie oder in nicht-kanonischen Texten des ersten vor-
christlichen Jahrtausends abgehandelt werden, sind bereits in
den mittelassyrischen oder mittelbabylonischen Opferschau-
Kompendien aus Assur anzutreffen. So finden sich unter den
Texten aus Assur Kompendien zu äußerlichen Betrachtungen
des Knochengerüsts des Opfertieres (Nr. 2-7), zu den Gedärmen
(Nr. 8-12), zur Leber (Nr. 13-41) mit ihren verschiedenen Berei-
chen wie der „Präsenz“ (Nr. 13-17), dem „Pfad“ (Nr. 18-21), der
„Vorderseite der Tasche“ (Nr. 22-27), der Gallenblase (Nr. 28-
35), dem „Linger“ (Nr. 36-41) sowie den Keulenmarkierungen
(Nr. 42-46), zur Lunge (Nr. 47-63) und zu den verschiedenen
kommentierenden Texten (Nr. 64-77). Weiterhin sind in Assur
Nieren-Omina (Nr. 80-82), Omina anhand des Verhaltens des
Opferschafes (Nr. 83, 85), Omina anhand eines Opfervogels (Nr.
87-89) sowie Öl-Omina (Nr. 70) gefunden worden. Eine große
Tafel (Nr. 1) versammelt Omina aller Bereiche der Opferschau.
Zu den Opferschau-Modellen sind ein Darmwindungsmodell
(Nr. 9) sowie eine graphische Darstellung von Leber- und
Lungenbefunden zu stellen, deren Oberfläche jedoch nicht wie
bei anderen Modellen dreidimensional gestaltet ist (Nr. 78-79).
Recht zahlreich ist die Gruppe der Texte, die sich aufgrund ihres
fragmentarischen Zustands keinem Bereich der Opferschau mit
Sicherheit zuordnen lassen (Nr. 90-117). Die mittelassyrischen
Abhandlungen zu schwierigen Befunden sind besonders interes-
sant. Während manche mittelassyrischen Texte wie VAT 10114
(Nr. 69), der große Ähnlichkeit zu einer Tafel des Kapitels
summa multäbiltu der bärütu-Serie aufweist, oder VAT 13798
(Nr. 73), der Kalkulationen zu der adannu genannten Zeitspanne
enthält, schon länger bekannt waren, zeigen hier neu publizierte
Texte weitere Parallelen zum Kapitel summa multäbiltu (Nr. 65-
68), aber auch zu den nisirti bärüti und DUB HA.LA (Nr. 71,72,
75, 76) genannten Texten auf.
Die mittelassyrische Zeit war, nach der Quantität der erhal-
tenen Texte zu urteilen, die Phase der intensivsten Arbeit an den
Opferschau-Kompendien in Assur. Nicht weniger als 68 Tafeln
und Tafelfragmente lassen sich einigermaßen sicher dieser
Periode zuweisen, während 16 der frühneuassyrischen und nur
acht der neuassyrischen Zeit zuzurechnen sind. Die Datierungen
beruhen in den meisten Lällen auf paläographischen
114 J. de Roos, JAC 12 (1997) 40-42.
115 J.-W. Meyer, Phoenica 3 (1985) 119f.
Erwägungen, die sich wiederum in einigen Lällen auf
Eponymendatierungen in Kolophonen stützen können. Obwohl
die literarisch-wissenschaftlichen Texte der mittelassyrischen
Zeit zumeist mit einem Datum versehen wurden, sind wenige
Eponymendatierungen tatsächlich erhalten. Zu den datierten
Texten gehören vor allem die schon seit längerem bekannten
drei Opferschau-Kompendien aus der Zeit des Tiglatpileser I.
(1114-1076 v.Chr.): 116
A 8 (Nr. 37)
Eponym Tukulti-apil-Esarra
1. Jahr Tiglatpileser I. (1114 v. Chr.)
K 205(+)Rm2, 101 (Nr.51)
Eponym Istu-Assur-asämsu
Zeit Tiglatpilesers I.
VAT 10168 (Nr. 80)
Eponym Bere
Zeit Assur-resa-isis I.
Der Eponym Istu-Assur-asämsu ist um das Akzessionsjahr
Tiglatpilesers I. zu verorten, während der Eponym Bere vermut-
lich in die Zeit Assur-resa-isis I. (1132-1115 v. Chr.) datiert wer
den kann. 117 Dies harmoniert gut mit der Tatsache, daß alle drei
Opferschau-Kompendien von demselben Schreiber Samas-zera-
iddina geschrieben wurden. Diesen drei schon länger bekannten
Datierungen können nunmehr - neben drei Datierungen, bei
denen der Eponymenname abgebrochen ist 118 - zwei weitere
Eponymendatierungen hinzugefügt werden. Der auf VAT 10125
(Nr. 52) erwähnte Eponym IlT-uballissu läßt sich zeitlich nicht
genau einordnen, aber der durch den Eponym Assur-seziban-
ni 119 auf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts v. Chr. datierte
Text VAT 11003 (Nr. 102) zeigt, daß Opferschau-Texte wie
auch die lexikalischen Texte der Lamilie des Ninurta-uballis-
su 120 bereits ca. 50 Jahre vor der Zeit Tiglatpilesers I. (1114-
1076 v. Chr.) in Assur tradiert wurden. Leider ist außer der
Eponymenangabe im Kolophon von VAT 11003 (Nr. 102) kein
Name erhalten, so daß nicht geklärt werden kann, ob auch dieses
Opferschau-Kompendium von Mitgliedern der gleichen
Schreiberfamilie geschrieben wurde.
Neben Eponymendaten und Paläographie kann zu
Datierungszwecken auch auf bestimmte Merkmale zurückge-
griffen werden, die Texten einer bestimmten Zeit eigen sind.
Hierzu gehört das Merkmal, am Ende eines Textes einen
Doppelstrich zu setzen, in den einmal oder mehrfach die Zeichen
BE und MAN geschrieben werden. Dies ist bislang nur auf
Tontafeln der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen
Jahrtausends zu beobachten, nicht nur in Assyrien, sondem auch
in Ugarit, Emar, Alalah und Bogazköy. 121 Solche Vermerke fin-
den sich in einem Einzelfall bei Opferschau-Kompendien aus
116 Die Eponymendatierungen der literarischen Texte aus Assur hat
H. Freydank, SGKAO 21,94-97 untersucht.
117 Siehe H. Freydank, SGKAO 21, 146 und 126.
118 Hierzu gehören VAT 10678 + VAT 10712 + VAT 11300 (Nr. 25),
VAT 10125 (Nr. 52) und VAT 13798 (Nr. 73).
119 Es gibt zwei Eponymen mit dem Namen Assur-sezibanni, der eine dürf-
te zur Zeit Assur-uballits I. (1353-1318 v. Chr.) das Eponymat inne
gehabt haben, der andere wird in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts
v. Chr. datiert. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist in VAT 11003 der
zweite Eponym dieses Namens gemeint.
120 Dies gilt insbesondere für die von H. Freydank, SGKAO 21, 95f.
zusammengestellten lexikalischen Texte, die im Besitz der Söhne des
Ninurta-uballissu waren.
121 Siehe W. van Soldt apud M. Stol, NABU 1996/73.