Einleitung des Herausgebers
XV
Ausblick. Jaspers hatte den ihm eigenen philosophischen Glauben noch nicht gefun-
den. Er war sich des philosophischen Glaubens, der in jedem Philosophen persönliche,
unverwechselbare und unvertretbare Gestalt gewann, noch keineswegs sicher. Dafür
sprach, neben einem entsprechenden Hinweis in der ersten Vorlesung,31 nicht zuletzt
der defensive Schluss des Buches. Die fünfte und letzte Vorlesung über die »Möglich-
keiten des gegenwärtigen Philosophierens« schloss mit der Widerlegung vorwegge-
nommener kritischer Einwände, als ob Jaspers den gerade erst seiner selbst bewusst
werdenden philosophischen Glauben in seiner weiteren Entfaltung schützen wollte.
Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei dem sicher zu erwartenden Einwand des
Subjektivismus.32
Die drei Vorlesungen Existenzphilosophie (1938) brachten insofern einen neuen As-
pekt, als sie die gelebte Seite des philosophischen Glaubens stärker in den Vordergrund
rückten. Jaspers stellte den Ausnahmen Nietzsche und Kierkegaard, die dem Denken
den selbstverständlichen Boden entzogen hatten, ohne ein neues Fundament zu legen,
die Autorität eines Denkens gegenüber, das im Transzendieren aller endlichen Stand-
punkte einen Halt im Unendlichen fand. Bereits in der Einführung machte er deutlich,
dass es ihm angesichts der Auflösungserscheinungen des Zeitalters um eine »Rückkehr
zur Wirklichkeit«33 ging. Der philosophische Glaube erwies sich dabei als die treibende
Kraft: »Aus ihm erfolgt die Bewegung des eigenen Lebens in der Welt, um die Erschei-
nungen der Wirklichkeit zu erfahren und zu erforschen und um dadurch um so hel-
ler die Wirklichkeit der Transzendenz zu erreichen.«34 Erst von dort her, von diesem
Unvordenklichen, wurden die Gehalte gegenwärtig, auf die ein Leben dauerhaft ge-
gründet werden konnte. Welche das waren, sagte Jaspers allerdings nicht. Wie schon
in Vernunft und Existenz ging es ihm auch in der Existenzphilosophie weniger um ein-
zelne Glaubensgehalte als um eine bestimmte Glaubenshaltung. Seinen Äußerungen
haftete deshalb trotz ihres Bezugs auf die Wirklichkeit etwas Formales an: Der philo-
sophische Glaube »bindet sich an die Welt als Bedingung allen Seins für ihn«; er »for-
dert, ganz bei der Sache in der Welt zu sein, nichts wichtiger zu finden, als hier mit
allen Kräften das jeweils Sinnvolle zu tun« und »zugleich die verschwindende Nichtig-
keit des Ganzen vor der Transzendenz nie zu vergessen«.35 Die negativen Bestimmun-
gen überwogen die positiven bei Weitem, im Zentrum standen Abgrenzungen vom re-
ligiösen Glauben wie etwa jene, dass der philosophische Glaube »keiner Institution«
und »keines Bekenntnisses fähig« sei.36 Bezeichnenderweise endete auch die Existenz-
31 »Wenn meine Vorlesungen diesem hohen Anspruch auch nicht von fern genügen werden, so ist
es doch wesentlich, den Maßstab zu kennen für die Sache, um die man sich bemüht.« (Ebd., 41)
32 Vgl. ebd., 146-150.
33 K. Jaspers: Existenzphilosophie, 2.
34 Ebd., 80.
35 Ebd., 71.
36 Ebd., 79 u. 80.
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Ausblick. Jaspers hatte den ihm eigenen philosophischen Glauben noch nicht gefun-
den. Er war sich des philosophischen Glaubens, der in jedem Philosophen persönliche,
unverwechselbare und unvertretbare Gestalt gewann, noch keineswegs sicher. Dafür
sprach, neben einem entsprechenden Hinweis in der ersten Vorlesung,31 nicht zuletzt
der defensive Schluss des Buches. Die fünfte und letzte Vorlesung über die »Möglich-
keiten des gegenwärtigen Philosophierens« schloss mit der Widerlegung vorwegge-
nommener kritischer Einwände, als ob Jaspers den gerade erst seiner selbst bewusst
werdenden philosophischen Glauben in seiner weiteren Entfaltung schützen wollte.
Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei dem sicher zu erwartenden Einwand des
Subjektivismus.32
Die drei Vorlesungen Existenzphilosophie (1938) brachten insofern einen neuen As-
pekt, als sie die gelebte Seite des philosophischen Glaubens stärker in den Vordergrund
rückten. Jaspers stellte den Ausnahmen Nietzsche und Kierkegaard, die dem Denken
den selbstverständlichen Boden entzogen hatten, ohne ein neues Fundament zu legen,
die Autorität eines Denkens gegenüber, das im Transzendieren aller endlichen Stand-
punkte einen Halt im Unendlichen fand. Bereits in der Einführung machte er deutlich,
dass es ihm angesichts der Auflösungserscheinungen des Zeitalters um eine »Rückkehr
zur Wirklichkeit«33 ging. Der philosophische Glaube erwies sich dabei als die treibende
Kraft: »Aus ihm erfolgt die Bewegung des eigenen Lebens in der Welt, um die Erschei-
nungen der Wirklichkeit zu erfahren und zu erforschen und um dadurch um so hel-
ler die Wirklichkeit der Transzendenz zu erreichen.«34 Erst von dort her, von diesem
Unvordenklichen, wurden die Gehalte gegenwärtig, auf die ein Leben dauerhaft ge-
gründet werden konnte. Welche das waren, sagte Jaspers allerdings nicht. Wie schon
in Vernunft und Existenz ging es ihm auch in der Existenzphilosophie weniger um ein-
zelne Glaubensgehalte als um eine bestimmte Glaubenshaltung. Seinen Äußerungen
haftete deshalb trotz ihres Bezugs auf die Wirklichkeit etwas Formales an: Der philo-
sophische Glaube »bindet sich an die Welt als Bedingung allen Seins für ihn«; er »for-
dert, ganz bei der Sache in der Welt zu sein, nichts wichtiger zu finden, als hier mit
allen Kräften das jeweils Sinnvolle zu tun« und »zugleich die verschwindende Nichtig-
keit des Ganzen vor der Transzendenz nie zu vergessen«.35 Die negativen Bestimmun-
gen überwogen die positiven bei Weitem, im Zentrum standen Abgrenzungen vom re-
ligiösen Glauben wie etwa jene, dass der philosophische Glaube »keiner Institution«
und »keines Bekenntnisses fähig« sei.36 Bezeichnenderweise endete auch die Existenz-
31 »Wenn meine Vorlesungen diesem hohen Anspruch auch nicht von fern genügen werden, so ist
es doch wesentlich, den Maßstab zu kennen für die Sache, um die man sich bemüht.« (Ebd., 41)
32 Vgl. ebd., 146-150.
33 K. Jaspers: Existenzphilosophie, 2.
34 Ebd., 80.
35 Ebd., 71.
36 Ebd., 79 u. 80.