Einleitung des Herausgebers
XVII
chen hatte, konnte nur beschreiten, wer Gott voraussetzte: »Nur wer von Gott ausgeht,
kann ihn suchen. Eine Gewißheit vom Sein Gottes, mag sie noch so keimhaft und un-
faßbar sein, ist Voraussetzung, nicht Ergebnis des Philosophierens.«41 Mit dem Satz
»Gott ist« wurde der philosophische Glaube zum »Fundament«42 des philosophischen
Denkens, was für ihn nicht ohne Konsequenzen bleiben konnte: Er trat aus dessen
Schatten heraus und wurde seiner selbst als unbedingte Gewissheit bewusst.
Den Ausschlag gab, dass Jaspers mit dem Satz »Gott ist« nicht den Gott der Philo-
sophen meinte. Dieser Gott war nicht der unbewegte Beweger des Aristoteles, nicht
das Eine Plotins, nicht die unendliche Substanz Spinozas oder der absolute Geist He-
gels. Vielmehr war er der Gott der biblischen Religion, wobei Jaspers vor allem an den
Gott Jeremias dachte.43 Dadurch gewann das formale Transzendieren als Weg des Gott-
suchens eine andere Qualität. Dass Gott ist, wurde in der Bibel elementarer vermittelt
als in den klassischen Texten der griechischen Philosophie. Der Satz besaß hier ein
ganz anderes Gewicht, da er einer »unmittelbaren Gotteserfahrung«44 entsprang und
eine »unvergleichliche Glaubensgewißheit«45 ausdrückte, von der Jaspers nicht unbe-
rührt blieb. Deutlicher als bisher sah er den Unterschied zwischen »gedachter Trans-
zendenz« und »lebendigem Gott« und machte sich klar, dass »das Eine der Philoso-
phie« nicht »der Eine der Bibel« war.46 Wenn Gott hier auf unvordenkliche, durch
formales Transzendieren nicht zu erwirkende Weise gewiss war, dann deshalb, weil er
handelte und sprach, einen Willen besaß und Gebote gab, kurz: weil er Person war, die
sich dem Menschen offenbarte. Dieser Gott war mehr als >nur< eine Chiffer der Trans-
zendenz - in der Bibel sowieso, aber offensichtlich auch für Jaspers, der in Von der
Wahrheit schrieb, »Gott ist nicht Chiffer, sondern die Wirklichkeit selbst«,47 und des-
halb in Der philosophische Glaube auf den Begriff der Chiffer weitgehend verzichtete.48
41 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 35.
42 Ebd., 11.
43 Als Jaspers erstmals vom philosophischen Glaubensgehalt »Gott ist« sprach, verwies er paradig-
matisch auf Jer 45,3-5 und fasste zusammen: »Die absolute Transzendenz ist von Jeremias im Ge-
danken des überweltlichen Schöpfergottes ergriffen worden. Von daher geht der Glaube, wenn
auch oft verschleiert, durch das Abendland bis heute.« (K. Jaspers: Grundsätze des Philosophierens,
1. TI.: »Philosophische Glaubensgehalte«; vgl. »Principles for Philosophizing: Introduction to
Philosophical Life, 1942/43«, 14) Zur Bedeutung von Jeremias Glaubenshaltung für Jaspers vgl.
Stellenkommentar, Nr. 415.
44 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 75.
45 Ebd., 74.
46 Ebd.
47 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 1051.
48 Jaspers sprach zwar gelegentlich von »Chiffren der Transzendenz« (Derphilosophische Glaube, 110,
126), aber Gott zählte er nicht dazu. Vielmehr gebrauchte er die Ausdrücke »Transzendenz« und
»Gott« synonym, etwa in der Formulierung »Transzendenz (oder Gott)« (ebd., 31). Dem Glau-
benssatz »Gott ist« entsprechend, war die Reihenfolge der Ausdrücke gewöhnlich umgekehrt:
»Gott als Transzendenz« (ebd., 110) oder »Gott, die Transzendenz« (ebd., 129). In der Rede vom
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chen hatte, konnte nur beschreiten, wer Gott voraussetzte: »Nur wer von Gott ausgeht,
kann ihn suchen. Eine Gewißheit vom Sein Gottes, mag sie noch so keimhaft und un-
faßbar sein, ist Voraussetzung, nicht Ergebnis des Philosophierens.«41 Mit dem Satz
»Gott ist« wurde der philosophische Glaube zum »Fundament«42 des philosophischen
Denkens, was für ihn nicht ohne Konsequenzen bleiben konnte: Er trat aus dessen
Schatten heraus und wurde seiner selbst als unbedingte Gewissheit bewusst.
Den Ausschlag gab, dass Jaspers mit dem Satz »Gott ist« nicht den Gott der Philo-
sophen meinte. Dieser Gott war nicht der unbewegte Beweger des Aristoteles, nicht
das Eine Plotins, nicht die unendliche Substanz Spinozas oder der absolute Geist He-
gels. Vielmehr war er der Gott der biblischen Religion, wobei Jaspers vor allem an den
Gott Jeremias dachte.43 Dadurch gewann das formale Transzendieren als Weg des Gott-
suchens eine andere Qualität. Dass Gott ist, wurde in der Bibel elementarer vermittelt
als in den klassischen Texten der griechischen Philosophie. Der Satz besaß hier ein
ganz anderes Gewicht, da er einer »unmittelbaren Gotteserfahrung«44 entsprang und
eine »unvergleichliche Glaubensgewißheit«45 ausdrückte, von der Jaspers nicht unbe-
rührt blieb. Deutlicher als bisher sah er den Unterschied zwischen »gedachter Trans-
zendenz« und »lebendigem Gott« und machte sich klar, dass »das Eine der Philoso-
phie« nicht »der Eine der Bibel« war.46 Wenn Gott hier auf unvordenkliche, durch
formales Transzendieren nicht zu erwirkende Weise gewiss war, dann deshalb, weil er
handelte und sprach, einen Willen besaß und Gebote gab, kurz: weil er Person war, die
sich dem Menschen offenbarte. Dieser Gott war mehr als >nur< eine Chiffer der Trans-
zendenz - in der Bibel sowieso, aber offensichtlich auch für Jaspers, der in Von der
Wahrheit schrieb, »Gott ist nicht Chiffer, sondern die Wirklichkeit selbst«,47 und des-
halb in Der philosophische Glaube auf den Begriff der Chiffer weitgehend verzichtete.48
41 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 35.
42 Ebd., 11.
43 Als Jaspers erstmals vom philosophischen Glaubensgehalt »Gott ist« sprach, verwies er paradig-
matisch auf Jer 45,3-5 und fasste zusammen: »Die absolute Transzendenz ist von Jeremias im Ge-
danken des überweltlichen Schöpfergottes ergriffen worden. Von daher geht der Glaube, wenn
auch oft verschleiert, durch das Abendland bis heute.« (K. Jaspers: Grundsätze des Philosophierens,
1. TI.: »Philosophische Glaubensgehalte«; vgl. »Principles for Philosophizing: Introduction to
Philosophical Life, 1942/43«, 14) Zur Bedeutung von Jeremias Glaubenshaltung für Jaspers vgl.
Stellenkommentar, Nr. 415.
44 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 75.
45 Ebd., 74.
46 Ebd.
47 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 1051.
48 Jaspers sprach zwar gelegentlich von »Chiffren der Transzendenz« (Derphilosophische Glaube, 110,
126), aber Gott zählte er nicht dazu. Vielmehr gebrauchte er die Ausdrücke »Transzendenz« und
»Gott« synonym, etwa in der Formulierung »Transzendenz (oder Gott)« (ebd., 31). Dem Glau-
benssatz »Gott ist« entsprechend, war die Reihenfolge der Ausdrücke gewöhnlich umgekehrt:
»Gott als Transzendenz« (ebd., 110) oder »Gott, die Transzendenz« (ebd., 129). In der Rede vom