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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0110
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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ben (obgleich dieses Nichtglaubenkönnen auf dem Ausbleiben der das Glaubenkön-
nen verleihenden Gnade Gottes beruht).
Diese allgemeine Bestimmung der Offenbarung als direkte Mitteilung Gottes an
einem Ort in Raum und Zeit, die doch als einzigartige auch wieder nicht direkt ist,
genügt nun aber durchaus nicht.
Erstens ist es ein Gattungsbegriff, der es erlauben würde, verschiedene Offenbarun-
gen unter ihn zu subsumieren. Das aber gestattet der christliche Offenbarungsglaube
nicht. Die Mitteilung, die dem christlich Glaubenden durch Gottes Gnade zu glauben
möglich ist, sprengt den Gattungsbegriff. Nur diese eine eigene Offenbarung ist als
wahr anzuerkennen, den anderen »Offenbarungen« aber wird der eigentliche Offen-
barungscharakter bestritten.
Zweitens ist die Offenbarung geglaubt innerhalb einer Kirche. Der Glaube ist Ele-
ment einer Kultusgemeinde, in der Gott - durch Vermittlungen oder selbst - gegen-
wärtig ist an diesem Ort zu dieser Zeit und in Handlungen, die vom Priester und von
der Gemeinde vollzogen werden. Das ist ein Grundzug aller Religionen. Kein Offen-
barungsglaube ohne Kultusgemeinde. Die christliche Kultusgemeinde aber ist charak-
terisiert durch bestimmte Sakramente und eine bestimmte Verkündigung des Wortes
und durch ein formuliertes Bekenntnis.
Drittens ist christliche Kirche dadurch, daß sie durch die eine, einzige, bestimmte
Offenbarung paradox gegründet ist, in der Zeit und über der Zeit. Die Kirche ist in der
Zeit, weil zu bestimmter Zeit gestiftet, nicht von Menschen, sondern von Gott. Sie ist
ausgebreitet durch Mission in die Weite des bewohnten Raums, organisiert in immer
neuen Gemeinden. Sie hat also Geschichte, bezieht sich auf diese (Tradition) und lei-
tet | die spezifische Vollmacht (Autorität) ihrer beamteten Vertreter (Priester, Pfarrer) 5
von der ursprünglichen Berufung der Apostel her. Aber diese christliche Kirche ist zu-
gleich über der Zeit. Denn sie ist in der Zeit die Vorwegnahme des Endes der Zeit und
der Geschichte (ist getragen vom eschatologischen Bewußtsein) und macht den Gläu-
bigen heimisch in dem ewigen Reich, das nicht von dieser Welt ist.119 Es wird herein-
brechen als Weitende und Weltgericht. Aber es ist auch schon da in der sinnlichen
Wirklichkeit von Gemeinschaft, Tempel, heiligen Handlungen, Verkündigung.
Das alles hören wir von den Offenbarungsgläubigen. Für rationales Denken zeigen
sich bald Widersprüche. Diese Widersprüche aber werden selber zum Element des
Glaubens, werden gesteigert und bewußt gemacht (vom credo quia absurdum Tertul-
lians120 bis zu Kierkegaards121 Paradox und dem Glauben kraft des Absurden). Die Of-
fenbarung offenbart, aber so, daß sie verbirgt.
Man denkt wohl, die Offenbarung müsse doch im Ursprung zu fassen sein. Aber so
weit auch zurückgegangen wird: wir hören sie in menschlicher Sprache. Die Offenba-
rung wird unterschieden von ihrem Verständnis. Man meint in der ersten Verkündi-
gung der Apostel (dem Kerygma) die Offenbarung zu haben, sie fordert als Gottes Wort
Gehorsam und duldet keine Kritik. Wir hören aber: Das Verständnis des Kerygma sei
 
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