14
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
b. Die Frage, was natürliche Vernunft sei
Verschleiernd für unser Problem ist die Selbstverständlichkeit, mit der man von natür-
licher Vernunft und vom Christentum spricht, als ob feststände, was beides sei.
1. Ist der Offenbarungsglaube oder die ihm gewisse Offenbarung unnatürlich, wi-
dernatürlich, übernatürlich?
io Die Entgegensetzung ist nur möglich, wenn man weiß, was man unter | »Natur«
versteht und unter »Offenbarung«, die nicht Natur ist. Die Unterscheidung ist gedacht
vom Offenbarungsglauben her.
So hat die Offenbarungstheologie ihre Gegner und die Gleichgültigen unter Kate-
gorien gebracht, in deren Gestalt sie sie angreift, und zwar so, daß diese Gegner manch-
mal selber, gedankenlos, diese Kategorien, durch die sie treffend charakterisiert sein
sollten, annahmen:
Sie sind die, die sich auf das Natürliche beschränken, das im Denken als solchem, in
dem Verstand, in der Welterkenntnis, in der Vernunft und in der Spekulation des Seins
liegt. Das letztere heißt dann natürliche Theologie. Dieses ganze Natürliche aber sei,
wenn es sich selbst genügen wolle, Verlorenheit. Erst im Übernatürlichen, das die Offen-
barung ist, und das in der Offenbarung gegeben, im Glauben ergriffen wird (und zwar
im Gehorsam gegen die in der Welt sprechende Vollmacht), sei das Heil. Erst von dort
her wird auch das Natürliche im Ganzen begriffen, während der glaubende Gehorsam
sich unterwirft geschichtlich einmaligen Propheten und Aposteln und einer dauern-
den, sich überliefernden Autorität der mit magischen Fähigkeiten amtlich ausgestatte-
ten Priester einer Kirche, die oft, wenn auch nicht überall, das letzte Fundament ist (ego
vero Evangelio non crederem, nisi me catholicae Ecclesiae commoveret auctoritas)?5
2. Was aber heißt »Natur«, wie sie von sich selbst her gedacht wird? Der Begriff in
seiner Vieldeutigkeit stammt aus der stoischen Philosophie. Er umfaßt alles, was im
Menschen und was in der Welt liegt, das Sein und das Sollen, die Notwendigkeit und
die Freiheit, den Logos, der eins ist mit der Gottheit, als Pneuma die Welt durchströmt,
im Denken und in der Praxis dem Menschen als Menschen zugänglich ist durch das,
was er selbst als Wirkung und Teil der Gottnatur ist. Dieser Naturbegriff war allumfas-
send. Er ließ nichts außer sich, kannte keine andere Möglichkeit. Auch das, was als
Gegensatz von Natur und Übernatur in christlicher Theologie auftritt, liegt selber in
dieser einen »Natur«. Die Stoiker meinten die religiösen Kulte, die Götter, die Magie,
die Divination in ihrer Möglichkeit natürlich zu begreifen.
Weit entfernt, diese stoische Seinsinterpretation für die wahre zu halten, sehen wir
doch hier die historische Herkunft des so unbestimmten, alle Gegensätze in sich
Augustin, Migne 8,176.
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
b. Die Frage, was natürliche Vernunft sei
Verschleiernd für unser Problem ist die Selbstverständlichkeit, mit der man von natür-
licher Vernunft und vom Christentum spricht, als ob feststände, was beides sei.
1. Ist der Offenbarungsglaube oder die ihm gewisse Offenbarung unnatürlich, wi-
dernatürlich, übernatürlich?
io Die Entgegensetzung ist nur möglich, wenn man weiß, was man unter | »Natur«
versteht und unter »Offenbarung«, die nicht Natur ist. Die Unterscheidung ist gedacht
vom Offenbarungsglauben her.
So hat die Offenbarungstheologie ihre Gegner und die Gleichgültigen unter Kate-
gorien gebracht, in deren Gestalt sie sie angreift, und zwar so, daß diese Gegner manch-
mal selber, gedankenlos, diese Kategorien, durch die sie treffend charakterisiert sein
sollten, annahmen:
Sie sind die, die sich auf das Natürliche beschränken, das im Denken als solchem, in
dem Verstand, in der Welterkenntnis, in der Vernunft und in der Spekulation des Seins
liegt. Das letztere heißt dann natürliche Theologie. Dieses ganze Natürliche aber sei,
wenn es sich selbst genügen wolle, Verlorenheit. Erst im Übernatürlichen, das die Offen-
barung ist, und das in der Offenbarung gegeben, im Glauben ergriffen wird (und zwar
im Gehorsam gegen die in der Welt sprechende Vollmacht), sei das Heil. Erst von dort
her wird auch das Natürliche im Ganzen begriffen, während der glaubende Gehorsam
sich unterwirft geschichtlich einmaligen Propheten und Aposteln und einer dauern-
den, sich überliefernden Autorität der mit magischen Fähigkeiten amtlich ausgestatte-
ten Priester einer Kirche, die oft, wenn auch nicht überall, das letzte Fundament ist (ego
vero Evangelio non crederem, nisi me catholicae Ecclesiae commoveret auctoritas)?5
2. Was aber heißt »Natur«, wie sie von sich selbst her gedacht wird? Der Begriff in
seiner Vieldeutigkeit stammt aus der stoischen Philosophie. Er umfaßt alles, was im
Menschen und was in der Welt liegt, das Sein und das Sollen, die Notwendigkeit und
die Freiheit, den Logos, der eins ist mit der Gottheit, als Pneuma die Welt durchströmt,
im Denken und in der Praxis dem Menschen als Menschen zugänglich ist durch das,
was er selbst als Wirkung und Teil der Gottnatur ist. Dieser Naturbegriff war allumfas-
send. Er ließ nichts außer sich, kannte keine andere Möglichkeit. Auch das, was als
Gegensatz von Natur und Übernatur in christlicher Theologie auftritt, liegt selber in
dieser einen »Natur«. Die Stoiker meinten die religiösen Kulte, die Götter, die Magie,
die Divination in ihrer Möglichkeit natürlich zu begreifen.
Weit entfernt, diese stoische Seinsinterpretation für die wahre zu halten, sehen wir
doch hier die historische Herkunft des so unbestimmten, alle Gegensätze in sich
Augustin, Migne 8,176.