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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0121
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

in Rom (seit Panaitios) unterschieden im Blick auf die Realität eine dichterische (my-
thische), eine politische (praktische) und eine physische (spekulative) Theologie.55
Als die Christen mit der griechischen Philosophie in Berührung und in der antiken
Bildungswelt zur Geltung kamen und selbst denkend zur Klarheit ihres Glaubens ge-
langen wollten, hielten sie ihre Lehre für die wahre Philosophie und nannten sie so.
Mit dem Begriff Theologie trafen sie zunächst die heidnischen philosophischen Leh-
ren, dann aber die an deren Stelle tretende christliche Gotteslehre.
Eusebius von Cäsarea hat für sein Buch über die christliche Lehre von Gott den
Titel »Über die kirchliche Theologie« gewählt.7 In der Ostkirche hieß Theologie die
Trinitätslehre im Unterschied von der Lehre von der Inkarnation.
In der Westkirche hatte das Wort Theologie weder bei Augustin noch in den Jahr-
hunderten nach ihm eine spezifisch kirchliche Bedeutung. Eine Scheidung von Theo-
logie und Philosophie wird gar nicht erwogen, weil sie sachlich ausgeschlossen ist.
Denn alles Erkennen ist durch Erleuchtung von Gott her, darum alle Erkenntnis in
Gott gegründet. Das vernünftige Denken, selber durch das göttliche Licht erhellt, führt
von sich aus auch zur offenbarten Wahrheit, wenn der Glaube bewegt. Von Augustin
bis Anselm ist es bei den großen christlichen Denkern das gleiche.56 Im Denken als
solchem liegt der Zug zur Gottheit, wird der Weg durch die Bestimmung von ihr her
geführt. Eine Scheidung von Philosophie und Theologie würde der Philosophie den
Gehalt, der Theologie die Vernunft nehmen. Es ist die eine große Einheit in der Allge-
genwart Gottes, die ewige Wahrheit in allem hochgemuten Denken.
Das wurde langsam anders seit dem 12. Jahrhundert. Abälard spricht gelegentlich
von der Theologie als der sacra eruditio, die sich mit der Schrift befaßt, im Unterschied
von den philosophischen Gebieten.57 Hugo von St. Viktor unterscheidet die theologia
mundana, die höchste der philosophischen Disziplinen, von der theologia divina, die
Gott aus der Inkarnation und den Sakramenten erkennt.58 Aber hier ist noch nirgends
ein Gegensatz im Erkenntnisbegriff selbst.
Bei Bonaventura wird der methodische Gegensatz vielleicht schärfer bewußt. Die
Theologie als sacra doctrina geht von Gott aus. Die Philosophie führt zu Gott hin. Je-
doch ist der Wortgebrauch von Theologie auch noch anders, so wenn ihm Theologie
(Reden von Gott) mit der heiligen Schrift zusammenfällt, oder wenn alle Wissenschaf-
ten auf die Theologie zurückgeführt und die Philosophie nach trinitarischen Prinzi-
pien gegliedert wird.59
17 | Bis dahin blieb doch immer noch die fraglose augustinisch-anselmische Ein-
heit von Denken und Glauben. Ein Gegensatz im Sinne von Schwierigkeiten war
zwar längst in ketzerischen Denkern (Berengar von Tours u.a.) entstanden, hatte aber
nicht zu grundsätzlichen methodologischen Überlegungen geführt.60 Die Widersprü-
che und ihre Überwindung zugleich wurden (auf dem Weg von Abälard her) in einer
bis heute bestimmenden Form von Thomas von Aquino begriffen. Die sacra doctrina
führt zwar bei ihm nur selten den Titel Theologie.61 Aber bei ihm wird der bis dahin
 
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