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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
nunft den praktischen Ernst erwecken, der die Welt bewegen könnte. Wenn aber der
Ernst außerhalb der Kirchen in der persönlichen Freiheit des Einzelnen allein gewon-
nen wird, so ist er heute noch, trotz der Kraft für den Einzelnen, zur Unwirksamkeit in
die Breite, in der großen Gemeinschaft aller verurteilt. Seine Erscheinung in der Welt
verweht, als ob sie nichts sei.
Was vom philosophischen Glauben heute öffentlich und gemeinschaftlich wird,
ist so wenig, daß seine Ohnmacht Gegenstand der Verachtung ist. Was wir aber in den
Offenbarungsgläubigen sehen, damit mögen wir irren. Oft mag ein Typus getroffen
werden, der selber eine Abgleitung und nicht das Wesentliche darstellt. In der Anwen-
dung auf den Einzelnen ist die Auffassung vielleicht oft ungerecht oder blind.
Der Gang der Dinge wird heute immer auch durch die Formung der Glaubenskräfte
seitens der Kirchen und ihrer Dogmatik mitbestimmt. Versagen diese, wie es heute aus-
sehen kann, dann verfällt die Welt an den Wissenschaftsaberglauben, damit an den
Unglauben überhaupt und an die Unfreiheit. Daher möchte die Philosophie leisten,
was sie vermag, damit ihre Vernunft in das Glaubensdenken der Kirchen eindringe, da-
mit dieses selber glaubwürdig für alle und zu der Stätte werde, an der die wissenden
Menschenmassen, jeder Einzelne in ihnen, die innere Zustimmung aus ihrem mensch-
lichen Wesen finden und ihren Antrieb für Lebensführung und Entschlüsse gewinnen.
Warum unsere Unruhe wegen der philosophischen Beschwörung und der theologi-
schen Verkündigung? Weil die Chiffern zu uns sprechen oder stumm bleiben können,
so daß wir vor der Leere außer uns und in uns ratlos erschrecken, - oder weil bestimmte
Chiffern übermächtig werden, alle anderen verdunkeln, ihre Schwebe verlieren, aus
Chiffern sich in Zwang verwandeln, - vor allem aber, weil erst im Kampf der Chiffern
die Tiefen des Grundes sich zeigen, in denen Existenz auf Transzendenz bezogen ist.
g. Die Respektierung des Offenbarungsglaubens, aber unter Bedingungen
86 Gott gegenüber, so wird uns gesagt, gibt es keine Bedingungen, sondern | nur Gehor-
sam. Gewiß: wenn Gott selber in der Welt - dann notwendig als eine besondere Er-
scheinung - da wäre. So aber sind nur mehrere Instanzen als Kirchen da, die den Of-
fenbarungsglauben in verschiedenen Gestalten fordern. Wenn sie sich als heilig, als
durch Gott bevollmächtigt, gar als Stellvertreter Gottes ausgeben, so revoltieren nicht
nur jeweils eine andere Kirche und andere Religionen in der Welt, sondern der Mensch
als philosophischer Mensch, der er von Natur ist.
i. Respekt gegenüber dem Offenbarungsglauben aus dem Bewußtsein der geschichtlichen
Beschränktheit der eigenen Wahrheit
Ein philosophierender Mensch scheint so denken zu müssen: Ich weiß nicht, ob
ich in der Wahrheit schlechthin lebe. Wenn sie auch für mich in meiner Geschicht-
lichkeit unbedingt ist, so weiß ich doch: es ist die mir, indem ich mir selbst geschenkt
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
nunft den praktischen Ernst erwecken, der die Welt bewegen könnte. Wenn aber der
Ernst außerhalb der Kirchen in der persönlichen Freiheit des Einzelnen allein gewon-
nen wird, so ist er heute noch, trotz der Kraft für den Einzelnen, zur Unwirksamkeit in
die Breite, in der großen Gemeinschaft aller verurteilt. Seine Erscheinung in der Welt
verweht, als ob sie nichts sei.
Was vom philosophischen Glauben heute öffentlich und gemeinschaftlich wird,
ist so wenig, daß seine Ohnmacht Gegenstand der Verachtung ist. Was wir aber in den
Offenbarungsgläubigen sehen, damit mögen wir irren. Oft mag ein Typus getroffen
werden, der selber eine Abgleitung und nicht das Wesentliche darstellt. In der Anwen-
dung auf den Einzelnen ist die Auffassung vielleicht oft ungerecht oder blind.
Der Gang der Dinge wird heute immer auch durch die Formung der Glaubenskräfte
seitens der Kirchen und ihrer Dogmatik mitbestimmt. Versagen diese, wie es heute aus-
sehen kann, dann verfällt die Welt an den Wissenschaftsaberglauben, damit an den
Unglauben überhaupt und an die Unfreiheit. Daher möchte die Philosophie leisten,
was sie vermag, damit ihre Vernunft in das Glaubensdenken der Kirchen eindringe, da-
mit dieses selber glaubwürdig für alle und zu der Stätte werde, an der die wissenden
Menschenmassen, jeder Einzelne in ihnen, die innere Zustimmung aus ihrem mensch-
lichen Wesen finden und ihren Antrieb für Lebensführung und Entschlüsse gewinnen.
Warum unsere Unruhe wegen der philosophischen Beschwörung und der theologi-
schen Verkündigung? Weil die Chiffern zu uns sprechen oder stumm bleiben können,
so daß wir vor der Leere außer uns und in uns ratlos erschrecken, - oder weil bestimmte
Chiffern übermächtig werden, alle anderen verdunkeln, ihre Schwebe verlieren, aus
Chiffern sich in Zwang verwandeln, - vor allem aber, weil erst im Kampf der Chiffern
die Tiefen des Grundes sich zeigen, in denen Existenz auf Transzendenz bezogen ist.
g. Die Respektierung des Offenbarungsglaubens, aber unter Bedingungen
86 Gott gegenüber, so wird uns gesagt, gibt es keine Bedingungen, sondern | nur Gehor-
sam. Gewiß: wenn Gott selber in der Welt - dann notwendig als eine besondere Er-
scheinung - da wäre. So aber sind nur mehrere Instanzen als Kirchen da, die den Of-
fenbarungsglauben in verschiedenen Gestalten fordern. Wenn sie sich als heilig, als
durch Gott bevollmächtigt, gar als Stellvertreter Gottes ausgeben, so revoltieren nicht
nur jeweils eine andere Kirche und andere Religionen in der Welt, sondern der Mensch
als philosophischer Mensch, der er von Natur ist.
i. Respekt gegenüber dem Offenbarungsglauben aus dem Bewußtsein der geschichtlichen
Beschränktheit der eigenen Wahrheit
Ein philosophierender Mensch scheint so denken zu müssen: Ich weiß nicht, ob
ich in der Wahrheit schlechthin lebe. Wenn sie auch für mich in meiner Geschicht-
lichkeit unbedingt ist, so weiß ich doch: es ist die mir, indem ich mir selbst geschenkt