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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0188
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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werde, mitgeschenkte Wahrheit. Daher respektiere ich das, was bei anderen nach ih-
rem Glauben Wahrheit ist. Ich respektiere, ich stimme nicht zu. Respektieren aber
heißt: davon betroffen sein. Wenn die ganz anders Glaubenden ihren Glauben wirk-
lich bezeugen - nicht nur durch Bekenntnisse (die entweder billig sind oder auch
durch Martyrien für sie nichts beweisen), sondern durch ihre Taten, ihr Leben, die
Weise ihres Menschseins -, so kann der Ansatz zur möglichen Überzeugung entstehen,
ihre Wahrheit sei die bessere. Würde ich das durch jene umgreifende Vernunft einse-
hen, in der mir existentiell wirklich wird, was ich bin und sein kann, so wäre eine »Be-
kehrung« möglich. Aber sie ist, wenn auch grundsätzlich nicht ausgeschlossen, doch
im Horizont meines Bewußtseins ganz unwahrscheinlich, nicht infolge aufgeklärter
Negationen, sondern infolge der Erfüllung meiner Existenz durch eine andere Gewiß-
heit, die keiner Wissenschaft entstammt und keiner Offenbarung, die vielmehr das ist,
was in der eigentlichen Philosophie durch die Jahrtausende sich hell wird.
2. Respekt in dem Bewußtsein des Daseins von Glauben mit anderem Glauben
Nennen wir das Leben mit bestimmten Chiffern Glauben, so gibt es nicht nur einen
Glauben. Aber ein Glaube versteht nur sich selbst, ohne dies Verständnis zureichend
aussprechen zu können. Von außen ist nur ein mehr oder weniger gelingendes Nahe-
kommen durch Verstehen von Sinn und Sinnzusammenhängen möglich, nicht aber
wird im Verstehen die existentielle Kraft selber erreicht. Von außen aber kann jeder
Glaube in seiner Welterscheinung und seinen realen Folgen im menschlichen Sich-
verhalten gesehen werden.
Wir stehen in der Vielfachheit des Glaubens darin, aber nicht als sprachlose Wesen
fremd nebeneinander, sondern als kommunikationsfähige Wesen, die sich gegenseitig
angehen. Diese Kommunikation erfolgt durch Verstand, Vernunft, Liebe. Sie bewegt
sich in Objektivitäten gemeinten Sinns, die aber wirklich nur sind durch die zu ihnen
gehörige | Subjektivität. Sie geschieht im Miteinandersprechen in dem Maße, als sol-
ches Sprechen weniger der Vordergrund konventionellen Umgangs als Einsatz des gan-
zen Wesens ist (in dem Maße als der Mensch nicht gleichsam mit der geläufigen Masse
der Kupfermünzen, sondern mit Gold zahlt), das heißt nicht nur im Partikularen der
Zwecke und Bestimmtheiten und der Vorbauten bleibt, sondern diese unter Führung
stehen, der Mensch als er selbst wirklich da ist und nicht nur in Masken der Rollen, in
einem »wir« und gar »wir alle«, und nicht nur in den fixierten Denkschematen.
3. Respekt wegen des natürlichen Begehrens nach Leibhaftigkeit
Es ist eine merkwürdige Erfahrung: Wenn der philosophische Mensch für sich die Gel-
tung der Offenbarung verwirft (denn er hört sie nicht als solche, wenn er nur ihren
Gehalt in schwebenden Chiffern sich zu eigen macht), so kann er zu seinem Erstau-
nen unzufrieden sein, sobald er in der Diskussion mit einem Theologen diesen die Of-
fenbarung faktisch preisgeben sieht. Will er, daß da sei, was er doch für sich nicht an-

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